Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Er : ein schräges, aber schönes Relikt des alten Berlin. Dann führt Frau Graufuß mich durch einen mit dunklem Holz verkleideten Korridor, staubt im Vorbeigehen ein paar Bilderrahmen ab, schließt hastig die vom Flur abgehenden Türen und bittet mich ins Wohnzimmer.
Eine schwarze Ledercouchgarnitur dominiert den großen Raum, dessen Wände mit einer eierschalenfarbenen Blümchentapete verziert sind, in die sich Frau Graufuß’ Schürze wie ein Tarnanzug einfügt. Auf der Rückenlehne des ledernen Sofa-Ungetüms sitzt ein Dutzend adrett gekleideter Puppen mit starrem Gesichtsausdruck, die meine Vermieterin bei unserem Eintritt in Reih und Glied bringt. Ein grau melierter Marmortisch steht vor der Couch auf einem persischen Läufer, darauf befindet sich ein Spitzendeckchen mit einem Tischmülleimer. Im Hintergrund erhebt sich eine gigantische Schrankwand, die zahlreiche Porzellanfiguren, noch mehr Fotorahmen und eigentlich auch den Fernseher beherbergt, der aktuell jedoch auf der dunklen Auslegware auf dem Boden steht. Beim Anblick der vielen Kabel, die von dem dicken Röhrenmonitor in das monströse Möbelstück und auf den Balkon führen, schüttelt Frau Graufuß den Kopf.
»Hätte ick jewusst, was dit für ’n Aufwand is …« Sie seufzt und fährt dann in scharfem Ton fort. »Justav, der Herr Möller is da. Wie oft hab ick dir jesacht, wenn Besuch kommt …«
»Is ja jut«, murmelt er und steigt von der Leiter. Als er gerade vom Balkon ins Wohnzimmer treten will, hält er kurz inne. Dann geht er noch einmal einen Schritt zurück und tritt sich an der Fußmatte die Sandalen ab, unter denen er gelbe Socken trägt. Frau Graufuß nickt zufrieden, als er mir die Hand schüttelt, dann verschwindet sie Richtung Küche. Leise erklärt mir Herr Graufuß die Einzelheiten seines Vorhabens und überprüft mit einem Schulterblick die Abwesenheit seiner Frau.
»Dit war allet nich meine Idee«, flüstert er und verdreht dabei die Augen. »Wennse wissen, wat ick meine.«
Als das Klappern einer Kaffeetasse auf einem Unterteller die Rückkehr seiner Frau ankündigt, fängt er hastig mit einem fachsimpelnden Monolog an, den er mit deutlich mehr technischen Begriffen anreichert als eigentlich nötig wäre.
»Und Justav, haste den Herr Möller erklärt, watte dir da in Kopp jesetzt hast?«, fragt ihn seine Frau, schaut dabei aber mich an und drückt mir die volle Kaffeetasse in die Hand. »Heute Abend muss dit fertich sein. Wehe, ick tue meinen jeliebten Tatort verpassen!«
Die Antwort ihres Mannes besteht aus einem einzigen langen Seufzer, dann erklärt er, eine zweite Leiter aus dem Keller holen zu müssen, und schleicht aus dem Zimmer.
Frau Graufuß lächelt mich an und beginnt, ein paar der Kristallgläser zu polieren, die sie aus einem geheimen Fach in der Schrankwand zaubert. Als ich meinen Blick zum ersten Mal vom riesigen Fernseher auf dem Boden und der Einrichtung Marke Eiche rustikal losreiße und durch das Zimmer schweifen lasse, bleibt mir für einen Moment unwillkürlich der Mund offen stehen. Weil ich bisher nur auf das TV -Gerät geachtet habe, ist mir die Stirnwand des Raumes um die Tür herum nicht aufgefallen. Diese ist komplett mit hölzernen Setzkästen behängt, deren unterschiedlich große Fächer Hunderte kleiner Figuren und Gegenstände füllen. Ich trete zwei Schritte zurück, um die Sammlung ganz überblicken zu können. Die größten Fächer werden von aufwendigen Keramikfiguren bewohnt. Sie stellen Kinder in verschiedenen Posen dar: gemeinsam unter einem Regenschirm, allein mit Blumen in der Hand oder betend vor einer Marienstatue. Alle tragen ländliche Kleidung und befinden sich in Gesellschaft eines Jägerzauns oder sind umringt von ein paar Waldtieren. Die kleineren Fächer sind mit Miniaturausgaben von Geschirr und anderen Haushaltsgegenständen gefüllt.
»Krass – das müssen ja Hunderte sein!«, entfährt es mir ungläubig.
»Fünfhundertdreiundzwanzich«, präzisiert Frau Graufuß freudestrahlend, »aber die Kinder aus Keramik – die tun meen janzer Stolz sein!«
Mit einer flinken Handbewegung staubt sie ein Bauernmädchen und deren Schubkarre ab und stellt sich dann schweigend neben mich, die Hände vor der Brust ineinandergelegt. Es folgt ein Moment der andächtigen Stille.
Mich persönlich hat das Sammeln ja noch nie so recht gereizt. Na gut: Musik- CD s, aber die habe ich damals nur gekauft, weil mich die Musik darauf interessierte. Okay: Geld, aber das ist ja meist schneller
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