Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
gebracht. Gespannt höre ich ihr bei der Auflistung ihres Speiseplans zu, der überraschend bunt, ja fast sogar lecker klingt. Nachdem ich mir neben der Pizza und einem Liter Weizenbier inzwischen auch eine stolze Portion Tiramisu einverleibt habe, öffne ich heimlich meinen Gürtel und falle in ein vorübergehendes Fresskoma.
Frau Herrmann wirft einen Blick in meine leere Dessertschale und zuckt mit den Schultern. »Tja: Milch macht muntre Männer müde!«
Nun platzt der Sportwissenschaftler aus Alex heraus. Groß und breit erklärt er der geduldigen Frau Herrmann nun, wie wichtig Fleisch und Milchprodukte vor allem für die Leistungsfähigkeit des Körpers seien. »Oder haben Sie schon mal einen veganen Triathleten kennengelernt?«
»Nicht persönlich«, räumt sie ein, »aber Arnold Wiegand ernährt sich vegan und verbessert seine Zeiten im Triple-Ultra-Triathlon jedes Jahr.«
Geierchen wird hellhörig. »Über die Spinner hab ick letztens ’ne Doku jesehen«, sagt er. »Die erledjen tatsächlich den dreifachen Triathlon am Stück: in vierzig Stunden elf Kilometer schwimmen, über fünfhundert Kilometer Radfahren und fast hundertdreißig Kilometer joggen – Freaks!«
»Einhundertdreißig Kilometer joggen?« Ich kann es kaum fassen. »Ich schaff mit Ach und Krach ein Zehntel …«
»Dann kannste ja an unserem Lehrerlauf teilnehmen«, fällt Alex ein. »Im April treten wir gegen andere Kollegien an. Wenn du …«
»Aber er ist doch gar kein Kollege!«, schaltet sich das Herzblatt vom Personalrat ein, die der Diskussion aufmerksam gelauscht hat. »Außerdem hab ich keine Lust, mir von dem den Schnitt versauen zu lassen! Was ist denn deine Kilometerzeit?«
Kilometerzeit? Was weiß denn ich!? Ehrlich gesagt bin ich froh, wenn ich die zehntausend Meter überhaupt schaffe. Angefangen hab ich mit dem Joggen sowieso nur, weil der Körperteil zwischen Gürtel und Solarplexus mich immer mehr daran gehindert hat, mir die Socken im Stehen anzuziehen. Ausgerechnet mich, der die hundert Meter mal in weniger als zwölf Sekunden gelaufen ist – was wiederum auch mehr als zwölf Jahre her ist … Weil ich vom breiten Ex-Sportler wenigstens zum Breitensportler werden wollte, begann ich vor drei Jahren damit, regelmäßig durch den Park zu joggen. Aber ein Wettkampf?
Etwas bescheidener als gerade eben erkläre ich meiner persönlichen Lieblingsfeindin, die zehn Kilometer in einer Stunde zu schaffen.
»Na dann trainier mal schön, mein Junge! Wir sind nämlich echte Läufer und brauchen für die Strecke höchstens fünfzig Minuten.« Dann zieht sie eine Augenbraue hoch, schaut auf mein Bier und schließlich auf meine Wampe.
»Kein Problem«, sage ich unbeeindruckt und ziehe den Schwimmring so weit wie möglich ein, »das schaff ich locker.«
Locker? Möller – das glaubst du ja wohl selbst nicht!
»Vegane Kost ist echt eine gute Diät«, flüstert mir Frau Herrmann einen Moment später zu und kritzelt etwas auf eine Serviette, die sie mir dann unauffällig über den Tisch schiebt. »Informier dich über Eisen- und Vitamin-B12-Mangel – dann hast du außer den überflüssigen Pfunden nichts zu verlieren.«
Schnell lasse ich das Stück Papier in meiner Hosentasche verschwinden und nicke ihr mit einem schiefen Lächeln zu. Zwei weitere Weizenbiere und einen Verdauungsschnaps später verabschiede ich mich aus der illustren Runde derer, die es bis jetzt ausgehalten haben, und lockere auf dem Weg zur Bahn noch einmal meinen Gürtel. Dabei fällt mir die Serviette in meiner Tasche ein, auf der ich ein paar Internetadressen entdecke. Zeit für den Faktencheck.
Auf dem Heimweg lasse ich mir Frau Herrmanns Argumente noch einmal durch den Kopf gehen. Wenn die Existenz unzähliger Veganer beweist, dass Menschen auch ohne tierische Nahrungsmittel auskommen, dann ist deren Verzehr doch eigentlich nur Genuss – und wer will in Kauf nehmen, dass Lebewesen zugunsten des eigenen Genusses sterben müssen? Die Frage nach Mangelerscheinungen sollte ich wohl noch einmal recherchieren, aber ansonsten scheint mir die Argumentation so einfach wie konsequent: Der Genuss tierischer Lebensmittel macht Spaß, aber Spaß rechtfertigt keinesfalls das Ausbeuten oder gar das Töten von Lebewesen. Und haben meine Eltern uns nicht einmal beigebracht, dass man Tieren nicht wehtun darf?
Spätestens bei diesen Gedanken besteht kein Zweifel mehr: Ich bin infiziert, und ab sofort besteht die Gefahr, dass sich der Veganervirus in mir ausbreitet. Wie
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