Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Spaß mache. Ich lüge anstandsgemäß. Daraufhin zieht sie ein Papier aus der Büroablage, auf dem bunte Linien in einem Kreis aus verschiedenen Zeichen abgebildet sind.
Was ist denn das schon wieder? Diese Skizzen kenne ich doch von der letzten Freak-Show, die ich besucht habe.
»Ich hab mir mal Ihr Horoskop angeschaut, Herr Möller«, sagt sie langsam und zieht an ihrer Zigarette, »und das sieht ziemlich gut aus.«
»Danke.« Da hab ich mir den Tag meiner Geburt wohl gut ausgesucht.
»Um es kurz zu machen: Ich möchte Ihnen einen festen Job hier anbieten. Können Sie sich vorstellen, für uns als Supervisor zu arbeiten?«
»Öhm … Klar doch!«
»Na dann: willkommen im Team!«, sagt Frau Wecker mit der Kippe im Mundwinkel und reicht mir die Hand. »Löwen kann ich hier nämlich immer gut gebrauchen.«
Entgeistert verlasse ich das Büro und schließe die Tür hinter mir. Mit der Klinke in der Hand schüttele ich den Kopf, lächele dann aber und zucke mit den Schultern. Wer ohne adäquate Ausbildung als Grundschullehrer gearbeitet hat, denke ich mir, kann ruhig auch einen Job annehmen, den er aufgrund seines Sternzeichens angeboten bekommt.
13
BURSCHENSAFT , DER BURSCHEN SCHAFFT
M ichael glaubt mir kein Wort. Erst als ich ihm mehrmals und glaubhaft versichert habe, wegen der astrologischen Personalpolitik meiner Chefin einen neuen Job ergattert zu haben, lacht er sich schlapp, dann fällt ihm etwas ein: »Das Interview mit Charlotte Roche war übrigens echt super«, sagt er. »Bis auf die Tonqualität, aber egal. Pass auf, bei uns hat sich eine studentische Verbindung gemeldet und um einen Vortrag über die Stiftung gebeten.« Ein kalter Schauer läuft über meinen Rücken. »Würdest du das übernehmen?«
Etwas verdattert stimme ich zu und rufe umgehend meinen Onkel an, der jedoch vehement abstreitet, damit etwas zu tun zu haben. Das wird dann wohl Zufall gewesen sein, aber noch mehr verwundert mich der Umschlag, den ich ein paar Tage nach Michaels Anruf im Briefkasten finde. Er besteht aus dickem Papier, kommt aus einer ostdeutschen Großstadt und ist mit einer verschnörkelten Handschrift an mich adressiert. Auch der darin enthaltene mit einem Wappen verzierte Brief ist in dieser altertümlichen Schrift gehalten. Absender ist die studentische Verbindung, bei der ich einen Vortrag über die Ziele unserer Stiftung und die Unterschiede zwischen Wissenschaft und Religion halten soll.
Als wäre dies nicht schon herausfordernd genug, werde ich noch aufmerksamer, als ich die angegebene Homepage besuche, deren Freakfaktor kaum zu übertreffen ist. Hier posieren gepflegte junge Herren in Anzügen und Schaffnermützen – allesamt deutsche Burschen, einige mit Fechtwaffe, andere mit einem großen Glas Bier in der Hand ausgestattet. Bevor ich es mir anders überlegen kann, schließe ich das Browserfenster und konzentriere mich auf den Inhalt des Vortrags, den mir Michael mitsamt der PowerPoint-Präsentation geschickt hat.
Am Abend vor dem großen Tag krame ich Anzug und Krawatte aus der hintersten Schrankecke hervor, bügele mein einziges weißes Hemd und schaue mir auf YouTube noch schnell die Anleitung zum Binden eines ordentlichen Krawattenknotens an. Derart gewappnet, fühle ich mich bereit für meinen Ausflug als Stellvertreter Schmidt-Salomons auf Erden. Wenn man das als Skeptiker so sagen darf.
»Dem Straßenverlauf für 110 Kilometer folgen«, befiehlt mir die angenehme Frauenstimme meines Navigationsgeräts hinterm Berliner Ring. Ich habe also Zeit und so rufe ich mir in aller Ruhe die verschiedenen Artikel in Erinnerung, die ich im Vorfeld über die verwirrende Entstehung und Verwandtschaft studentischer Verbindungen, Corps und Burschenschaften gelesen habe. Natürlich sind sich die verschiedenen Gruppierungen untereinander nicht immer wohlgesonnen. Einige von ihnen tragen Fechtduelle aus, die sie Mensuren nennen und bei denen sie sich mit rasiermesserscharfen Waffen die Wangen aufschlitzen. Die Narben gelten unter den Burschen als Zeichen der Zugehörigkeit. Denn je höher die Opfer sind, die ein Mitglied für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe aufbringen muss, las ich vor Kurzem im Zusammenhang mit Religion, desto stärker sei der Zusammenhalt dieser Gruppe. Schräg, aber irgendwie einleuchtend.
Manche Burschenschaften verzichten ganz auf das Geschlitze, andere verknüpfen ihre elitären und teils rassistischen Überzeugungen mit dem sehr anpassungsfähigen christlichen Glauben, und
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