Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
scharfen Gesichtszüge dieses etwas fischartigen Wesens werden durch kugelrunde stahlblaue Augen vervollständigt, über denen er die nicht vorhandenen Augenbrauen runzelt − eine mimische Höchstleistung. Nur mit Mühe kann ich mich unter dieser feindlichen Beobachtung auf meinen Vortrag konzentrieren.
»Während in der Wissenschaft überprüfbare Aussagen – also Hypothesen – aufgestellt, überprüft und gegebenenfalls verworfen werden«, erkläre ich und spüre dabei ein wenig kalten Schweiß auf meiner Stirn, »funktioniert Theologie genau andersherum: Es wird eine unüberprüfbare Aussage aufgestellt – die Existenz eines allmächtigen, allgütigen und allwissenden Schöpfergottes –, und alles, was nicht in dieses Bild passt, wird vehement abgestritten oder im Zweifelsfall verbrannt.«
Hoffentlich muss ich meine religionsfreie und -kritische Weltanschauung heute Nacht nicht in einem Fechtduell verteidigen! Oder fordert man mich vielleicht noch dazu auf, den Alkoholpegel des stattlichen Alphaburschen zu erreichen? Dieser leert jetzt erneut eines der großen Biergläser und winkt noch währenddessen den Bierlieferanten heran, der ihm mit widerwilligem Gesichtsausdruck, aber dennoch routiniert, ein weiteres Glas hinstellt. Vielleicht hat er sich so zu seinem Posten als Boss dieser Truppe hochgesoffen?
Als ich ein paar Minuten später den nächsten Stichpunkt in meinem Vortrag entdecke, überlege ich kurz, ihn auszulassen, denn der Mut zur Kritik, den ich zu Hause noch hatte, ist inzwischen etwas verflogen. Leider ist mein Mund jedoch mal wieder schneller als mein Hirn.
»Obwohl beispielsweise das Christentum ohne das Vorkommen von Wundern – wie der Jungfrauengeburt oder der Auferstehung von den Toten – wie ein Kartenhaus in sich zusammenfällt, kann der Glaube daran für seine Anhänger von großem Vorteil sein«, sage ich und schaue in die strengen Gesichter der Männer. »Und zwar weil er ihnen eine Gruppenidentität verleiht. Der sogenannte Nepotismus – auch als Vetternwirtschaft bekannt – erhöht für Christen bis heute die Chance, in Deutschland eine politische Karriere hinzulegen. Ein Blick auf die Konfessionen der Spitzenpolitiker aller Parteien sollte dies belegen.«
Zu meiner Erleichterung zieht niemand der Anwesenden eine Fechtwaffe und geht damit brüllend auf mich los. Stattdessen lächeln sich einige der Burschen nickend an, und so schaffe ich es, mich bis zum Fazit des Vortrags durchzuhangeln.
»Wäre die Religion also nur erkenntnistheoretisch absurd« schließe ich meine Rede, »dann müsste sich unsere Stiftung nicht damit beschäftigen. Aber leider ist der organisierte Glauben in Deutschland keine Privatsache, sondern greift über die feste politische Verankerung konkret in das Leben religionsfreier Menschen ein – und genau daran wollen wir etwas ändern.«
Meine abschließenden Worte werden vom Publikum sehr unterschiedlich aufgenommen: Einige der Burschen schütteln entrüstet den Kopf, andere dagegen – vor allem die jüngeren – stimmen mit heftigem Nicken und freundlichem Lächeln zu; nur der grimmige Greis und der Fischmann behalten die unbeweglichen Gesichtsausdrücke und frostigen Blicke bei.
»… und deshalb zitiere ich zum Schluss meinen Kollegen Michael Schmidt-Salomon mit den Worten: ›Heidenspaß statt Höllenqual!‹«
Unter Applaus bedanke ich mich für die Aufmerksamkeit und lockere hastig meinen bisher ordentlich sitzenden Krawattenknoten. Weil ich alte Sabbeltasche die vorgegebene Zeit mächtig überschritten habe, schlägt der Burschenboss vor, die abschließende Diskussion in der Bar fortzusetzen. Dort angekommen, wartet der Fischmann bereits am Thresen auf mich, doch bevor ich mich vor ihm verstecken kann, stellt sich mir der Greis in den Weg. Am Kragen seines Sakkos trägt er das Wappen der Verbindung, und an seinem linken Ringfinger prangt ein Gegenstand, den ich bisher nur aus historischen Romanen kannte: ein Siegelring.
»Herr Möller«, beginnt er dramatisch und reicht mir die Hand zum Gruße. »Ich weiß gar nicht, wie ich Ihnen danken soll«, formuliert er dann zu meiner größten Verwunderung. »Ich bin seit dreiundneunzig Jahren strenggläubiger Katholik – und Sie schicken mich heute sehr, sehr irritiert nach Hause!«
Ich schlucke und sage erstmal gar nichts. Zum Glück lässt der Mann wieder meine Hand los.
»Ich glaube«, fügt er dann nachdenklich hinzu, »wenn ich in Ihrer Zeit aufgewachsen wäre, wäre ich heute auch Atheist –
Weitere Kostenlose Bücher