Bin isch Freak, oda was?!: Geschichten aus einer durchgeknallten Republik (German Edition)
Bogen durch die Gegend. Wir Kids hatten mit Bongo einen Heidenspaß und schlossen ihn so sehr in unser Herz, dass ich mich heute ernsthaft frage, wie aus mir, dem einst hundelieben Jungen, ein Mann werden konnte, der schon beim Anblick eines frei laufenden Riesenköters am liebsten das Ordnungsamt, die Polizei oder das Sondereinsatzkommando rufen würde. Es wäre für mich vollkommen ausgeschlossen, dass ich meine kleine Familie durch einen Hund erweitere – vor allem ohne Garten und ausreichend Zeit für Fahrten in Hundeauslaufgebiete, in denen die Tiere den Freilauf bekommen, den sie nun einmal brauchen. Das sehen viele meiner Mitbürgerinnen und Mitbürger offenbar anders, denn schließlich gibt es in Berlin ausreichend Parkanlagen, in denen sich außer mir offenbar niemand für die Leinenpflicht interessiert – anders kann ich mir das Getümmel hier im Tiergarten nicht erklären.
Kilometer vier bricht nun an, sodass ich bald die Hälfte meiner Strecke geschafft habe. Zu gerne würde ich mich wieder auf meine sportliche Aktivität konzentrieren, doch jetzt tritt der Worst Case ein: Auf dem gedrungenen und extrem muskulösen Körper des vor mir stehenden Hundes thront ein fetter Schädel mit spitzer Schnauze und zwei in die Höhe gereckten Ohren. Bis auf die rosafarbene Nase ist das Tier schneeweiß und spaziert ohne Leine und Maulkorb durch den Park. Nach allem, was ich über Kampfhunde zu wissen meine, bin ich eindeutig zu ängstlich, um mich über die rücksichtslose Besitzerin zu ärgern, die nun um die Ecke biegt. Als mich die junge Frau entdeckt, nimmt sie den Hund aber keineswegs an die Leine, sondern pfeift ihn bloß zu sich heran und befiehlt ihm, neben ihr zu laufen. Weil ich mit einer Flucht durchs Gebüsch eine Jagd provozieren könnte, die ganz sicher zu meinen Ungunsten ausgeht, nehme ich all meinen Mut zusammen und gehe am äußersten Wegesrand auf das Pärchen zu. Zu gern würde ich Frauchen signalisieren, wie unmöglich ich ihr Verhalten finde – ihr Hund dagegen soll am besten den Eindruck gewinnen, ich würde ihn überhaupt nicht wahrnehmen. Dieser Spagat gelingt mir offenbar nicht, denn das Biest starrt mich an und verlangsamt seinen Gang. Wenigstens hält das Frauchen die Bestie nun am Geschirr fest, auf dem ein Schild mit der Aufschrift Blondenführhund befestigt ist.
»Brauchst keine Angst zu haben«, ruft mir die junge Frau entspannt zu, »die beißt keine Menschen.«
In einem Abstand, der mir wenigstens eine leise Hoffnung lässt, im Notfall noch kreischend den nächsten Baum hochklettern zu können, bleibe ich stehen und schaue die – für meine Begriffe – untypische Kampfhundhalterin an.
»Keine Menschen also«, beginne ich und erinnere mich dann wieder an die Beißkraft ihres Lieblings. »Ich würde mich trotzdem etwas wohler fühlen, wenn er einen Maulkorb tragen würde.«
»Sie!«
»Ich? Warum soll ich denn …«
Das blonde Frauchen lacht laut auf. »Nein, nicht du – sie!«, erklärt sie und zeigt auf den Bullterrier. »Cherry ist ein Weibchen, und vor allem zu großen Männern ganz, ganz lieb. Willste sie mal streicheln?«
Cherry sieht mich hechelnd an und blinzelt. Ein wahrlich unmoralisches Angebot: Ich, der joggende Kampfhundhasser, bekomme die Chance, meine unerklärliche Furcht vor diesen hochgezüchteten Metzelmaschinen zu überwinden. Ich überlege einen Moment, doch schnell siegt die Vernunft.
»Danke, nein, ich trau mich nicht.«
»Na gut«, entgegnet die Halterin, »dann eben nicht.« Sie zuckt mit den Schultern und spaziert davon. Ihren Hund lässt sie wieder frei laufen.
Als ich die Hundewiese endlich hinter mir lasse und die Ebertstraße erreiche, bin ich mittendrin im Touri-Gebiet, denn hier befindet sich das Denkmal für die ermordeten Juden Europas. Auf einigen der 2 711 massiven Steinblöcke sonnt sich eine Gruppe Party-People und raucht Gras. Dabei machen sie sich über die riesige Meute japanischer Touristen lustig, die zwischen den Stelen herumwuseln und fröhlich alles fotografieren, was ihnen vor die Linse kommt. Auf meinem Weg vorbei an diesem Mahnmal des Grauens beobachte ich Kinder jeglichen Alters, aber auch Männer und Frauen, die in den Zwischenräumen der Stelen Fangen spielen oder lachend von einer der Säulen zur anderen hüpfen. Der Mann von der Security lehnt an einem Baum und spielt an seinem Smartphone herum.
Kurz vor dem Brandenburger Tor informiert mich mein Handy über den fünften geschafften Kilometer. Bevor ich durch die
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