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Binde Deinen Karren an Einen Stern

Binde Deinen Karren an Einen Stern

Titel: Binde Deinen Karren an Einen Stern Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Lukas
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man weiß nicht einmal, ob dasjenige, was uns begehrenswert erscheint, es auch „von höherer Warte aus“ ist – die ganze Kläglichkeit und Unwissenheit unserer menschlichen Position bricht im Bittgebet auf und ist nur schwer zu verdrängen. Nach allem, was ich in zahlreichen Patientengesprächen gehört habe, würde ich manch einem empfehlen, auf Bittgebete zumindest eine Zeitlang ganz zu verzichten und umso mehr die Dankgebete zu intensivieren. Vielleicht gelingt es später, zu einem „reifen“ Bittgebet zu finden: Darin schwingt – ausgesprochen oder unausgesprochen – immer mit: „Aber auch, wenn es anders kommt, als ich mir wünsche, will ich fest darauf vertrauen, dass du, Gott, es gut mit mir meinst und neue Wege auftust!“
    Eine weitere Beobachtung. Ich habe die Erfahrung gemacht, dass die Warum-Frage aus den Gebeten ausgeklammert gehört, weil sie symptomatisch ist für einen unfruchtbaren Hader mit Gott. Sie ist typisch für ein Haben-Wollen und Mehr-haben-Wollen, und dies sind leidschaffende Kräfte, die in Unzufriedenheit, Selbstmitleid und Verzweiflung hineintreiben.
    In den „logotherapeutischen Meditationskreisen“, die ich geleitet habe, habe ich mir von den Teilnehmern manchmal die Inhalte – nicht ihrer Träume, sondern – ihrer Gebete berichten lassen.
    Dabei sind mir zum Beispiel folgende Gebetsinhalte übermittelt worden:
    Gebet einer kinderlosen Frau:
„Lieber Gott, wenn ich schon als Frau auf die Welt kam, warum konnte ich dann keine Kinder bekommen?“
    Gebet einer Mutter, deren Tochter auf einem Ohr taub ist:
„Lieber Gott, wenn ich schon ein Kind bekommen habe, warum musste es dann behindert sein?“
    Gebet eines Vaters, dessen Sohn mit 45 Jahren verunglückt ist:
„Lieber Gott, wenn ich schon einen gesunden und lebensfrohen Sohn hatte, warum konnte er dann nicht alt werden?“
    Gebet einer Mutter, deren Sohn erwachsen und glücklich ist:
„Lieber Gott, wenn meinem Sohn schon ein langes und gutes Leben beschieden ist, warum konnte er dann keine nette Frau und keinen Erben bekommen?“
    Jedes dieser vier Gebete ist für sich genommen nachfühlbar und verständlich, aber wenn man sie nebeneinanderstellt, erkennt man die Signatur der ständigen Unzufriedenheit des Menschen, der nie genug bekommt, was ihm auch der Himmel beschert. Damit soll der Kummer des Einzelnen nicht verniedlicht, sondern nur die Behauptung gewagt werden, dass doch auch die Gnade im Leben eines jeden Einzelnen irgendwo auffindbar ist. Und dass wir das letzte Rätsel nicht entschlüsseln werden; die Vorsehung hüllt sich in Schweigen. Stoppen wir deswegen unsere Warum-Fragen und stocken wir auf, was Frankl das
Beugen vor dem Geheimnis
genannt hat. Wir sind nicht die „Fragenden“, wir sind die „Antwortenden“, die Antwort geben müssen auf die Fragen, die das Schicksal uns stellt, und da lassen sich ganz hervorragende Antworten geben – sogar auf missliche Fragen. Die „Fragen“ sind Gottes, die „Antworten“ sind unser, und nicht umgekehrt. Oder wie es in der dritten Strophe eines von Hugo Wolf vertonten Liedes heißt:
    Über Nacht, über Nacht
    kommt Freud und Leid
,
    und eh du’s gedacht, verlassen dich beid’
    und gehen dem Herrn zu sagen
,
    wie du sie getragen.



Ein gutes Buch oder:
Von der Heilkraft des Lesens
    Ich habe nur wenige Erinnerungen an meine früheste Kindheit, und wahrscheinlich ist das gut so, denn ich bin 1942, mitten im Krieg geboren. Eine meiner allerfrühesten Erinnerungen hat mit einem Buch zu tun …
    Ich sehe noch heute meine Mutter vor mir, wie sie in einer Kammer der elterlichen Wohnung in Wien an einem Tisch saß, auf dem ein Kerzenstummel brannte. Sie war in ein Buch vertieft. Offenbar war mir langweilig, denn ich begann zu weinen. Da hob mich meine Mutter auf ihren Schoß, drückte das Buch in meine kleinen Ärmchen und erlaubte mir, immer wenn sie eine Seite fertig gelesen hatte, für sie umzublättern. Das machte Spaß, und so saß ich da, geborgen auf Mutters Schoß, gewärmt von ihrer Nähe, einbezogen in den hingebungsvollen Leseprozess und ganz und gar durchdrungen von innerem Frieden. Die Welt draußen vor der Kammer mochte aus den Fugen geraten sein, aber innerhalb unserer Kammer war die Welt in Ordnung. Vielleicht stammt aus dieser frühkindlichen Reminiszenz meine Überzeugung, dass ein gutes Buch Lebenshilfe zu leisten vermag.
    Heute brauchen wir ein multidisziplinäres Hilfsangebot, eine enge Zusammenarbeit all jener, die willens sind, heillosen

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