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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischnapping
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und mich nie wieder im Spiegel anschauen
können, weil ich ein solches Geschöpf ohne guten Grund getötet hätte. Aber
irgendwas stimmte nicht. Ich machte das Rufsignal, schützte ein Gähnen vor, tat
Carol gegenüber so, als wäre es ein kleiner Scherz, aber nichts rührte sich.
Konnte es wirklich sein, dass sie wegen der oberen Hälfte der Nymphe nicht in
der Lage war, herumzuschwimmen? Es klingt an den Haaren herbeigezogen, aber
ich hatte schließlich eine gewisse Verantwortung.
    »Carol, Schatz, du könntest mir nicht zufällig einen BH
ausleihen?«
    »Wie bitte?«
    »Ich dachte bloß. Die Nymphe da. Du musst zugeben, sie ist
unnötig aufreizend obenrum. Wenn hier demnächst Leute rumlatschen, die sich
meine Skulpturen ankucken wollen, dachte ich, ich sollte vielleicht ihre Blöße
ein wenig bedecken, damit niemand vom Angebot abgelenkt wird.«
    »Sie ist eine Nymphe, Dad. Die tragen keine BHs. Dazu
bestand in Arkadien kein Anlass.«
    »Das weiß ich, aber ich möchte nicht, dass irgendwelche
potenziellen Kunden einen falschen Eindruck bekommen.«
    »Sie würden erst recht einen falschen Eindruck bekommen,
wenn du ihr meine Unterwäsche anziehst. Stell dir bloß mal die Venus von Milo
mit BH vor.«
    »Wen?«
    »Schon gut. Ehrlich, Dad, manchmal bist du mir einfach ein
Rätsel. Ich dachte, du magst die Nymphe. Du hast sie dir früher jedenfalls ganz
schön oft angekuckt.«
    »Na schön. Kein BH. Wie wär's mit einem T-Shirt? Du kannst
doch bestimmt eins entbehren, oder? Na los, tu deinem alten Dad den Gefallen. Aber
keines, das zu freizügig ist. Schön schlicht. So eins, das eine Nonne anziehen
würde.«
    Sie stellte ihr Glas ab, ging ins Haus. Ich machte wieder
das Rufsignal, aber noch immer vergeblich. Carol kam eine Minute später zurück,
ein weißes T-Shirt über dem Arm.
    »Geht das?«
    Das T-Shirt überzuziehen, gestaltete sich erheblich
schwieriger, als ich gedacht hatte, weil die Nymphe im Unterschied zu den
meisten Frauen, wenn du ihnen in die Klamotten rein- oder aus ihnen raushilfst,
nicht die Arme bewegte. Trotzdem schaffte ich es. Das T-Shirt ging ihr bis
knapp übers Knie, aber wegen ihrer unteren Hälfte machte ich mir ohnehin keine
Gedanken, da sie in dieser Körpergegend durch die übergroße Muschel geschützt
wurde, die sie in der Hand hielt, obwohl sie so einen Oschi wohl kaum an einem
unserer Strände gefunden hätte. Carol trat zurück, kippte ihren Sekt runter.
    »Das sieht lächerlich aus«, sagte sie. Sie nahm ihren Hut
ab, setzte ihn der Nymphe auf. »So ist es schon besser.« Sie schüttelte den
Kopf. »So was bringst auch nur du, Dad.«
    Sie sagte das so, dass ich spürte, wie Tränen in mir hochstiegen.
Sie war den weiten Weg gekommen, um mich hinter Gitter zu bringen, und jetzt
lächelte sie und sagte so etwas. So was bringst auch nur du, Dad. Weil ich
nämlich ihr Dad war. Sie würde sich daran erinnern, an den Tag, an dem ihr Dad
einer Nymphe ein T-Shirt übergezogen hatte, würde den Tag vielleicht als den
Beginn von etwas in Erinnerung behalten, von etwas Gutem, etwas, das sie mit
nach Hause nehmen konnte, um ihren Kindern zu erzählen, was ihr Grandpa doch
Lustiges gemacht hatte. Vielleicht würde ich ja doch mit ihr nach Australien
gehen, Miss Prosser mitnehmen, ein neues Leben anfangen. Gott, wenn ich nicht
verliebt gewesen wäre, hätte ich dann je solche Gedanken gehabt? Wer weiß? Aber
ich war verliebt, und alles war anders, möglich. Ich lachte mit ihr. Es sah
wirklich lächerlich aus. Ich wollte der Nymphe das T-Shirt schon wieder
ausziehen, als Mutter Teresa mit dem Kopf unter dem Felsüberhang am anderen
Ende hervorlugte und dann über die gesamte Länge des Teichs angeschossen kam,
mit blitzenden Farben wendete, das Wasser in einem Tanz durchstieß, auf den
Torvill stolz gewesen wäre. Menschenskind, es hatte geklappt. Carol stieß einen
kleinen Schrei aus.
    »Du hast ja Fische drin, Dad!«
    »Ich spiele mit dem Gedanken - vielleicht. Ist alles noch
nicht spruchreif, Carol. Die Sache ist die ...«Ich goss ihr noch Sekt nach. Der
Augenblick war gekommen. Ich musste es ihr sagen, offen und ehrlich zu ihr
sein, sie auf meine Seite lotsen. Sie sogar um Rat fragen. »Die Sache ist die,
ich habe jemanden kennengelernt.«
    »Dad! Du meinst doch nicht...« Sie legte die Hand an den
Mund, blickte rüber zu Kims altem Bungalow.
    »Du machst wohl Witze. Nein, im Gefängnis.«
    »Nicht du auch noch! Kann denn nicht wenigstens ein
Elternteil...«
    »Das auch nicht. Meine

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