Binding, Tim
schob die Finger oben in ihren Einteiler.
Ich würde ihn runterziehen. Sie wusste, ich würde ihn runterziehen. Sie wollte,
dass ich ihn runterzog. Das war Teil des Geschäfts. Sie atmete tief ein.
»Jemand fragt dich nach deinem Namen. Du nennst ihn. Was
ist dann die natürliche Reaktion?« Sie spielte mit dem Saum ihres Strandmantels,
genoss jede Sekunde. Ich kapierte nicht. Dann klappte mir der Unterkiefer
runter.
»Herrgott. Du meinst...«
»Genau. Der andere nennt dir seinen.« Sie lächelte,
selbstsicher, genüsslich. Sie hatte den Namen der Frau die ganze Zeit gewusst
und mir verschwiegen. »Sie hat mir nicht ihren Nachnamen genannt, weil ich ihr
auch meinen nicht genannt hab. So etwas nennt man wechselseitiges Vertrauen.
Ich hab gesagt: >Ich heiße Michaela.< Sie hat mir ihre Hand hingehalten.
Sie hat gesagt: >Nett, Sie kennenzulernen, Michaela, ich heiße .. .<«
Sie schnellte abrupt vor, riss meine Hand weg. »Carol!«
»Carol?«
»Kommt die Straße hoch. Sie ist jeden Moment an der Tür.«
Sie schnappte ihre Schuhe, sprang auf. »Es ist besser, sie sieht uns nicht
zusammen.«
»Aber...«
»Später. Komm später vorbei. Ich lass die Hintertür unverschlossen.«
Sie huschte durch den Wintergarten davon. Ist doch nicht
nötig, hätte ich ihr beinahe nachgerufen, tat es aber nicht. Ich eilte in die
Diele, wartete, dass Carol die Tür öffnete, um sie notfalls aufzuhalten, damit
sie nicht sah, wie Michaela hinten über die Mauer sprang. Meine Hände waren
klamm. Sie hätte mir den Namen sagen sollen. Ich wäre trotzdem am Abend
rübergegangen, bloß um ihn noch einmal aus ihrem Mund zu hören, hätte sie flachgelegt,
mit dem Namen auf ihren Lippen. Carol trug ein leichtes geblümtes Kleid und
eine Sonnenbrille, die Michaelas nicht unähnlich war. Was das Bein anging, so
war ihr nichts davon anzumerken, wenn Sie verstehen, was ich meine. Sie sahen
beide genau gleich aus. Kein Wunder, dass ich durcheinandergekommen war.
»Carol! Hab mir schon gedacht, das kannst nur du sein. War
es schön bei den Travers?«
»Konnte es gar nicht erwarten, wegzukommen. Die leben wie
die Schweine, die Travers, wusstest du das?«
»Eigentlich ja. Doc Holiday hat im Laufe der Jahre etliche
Hausbesuche bei ihnen gemacht. Wenn er kann, bleibt er draußen, lässt sich die
Symptome durch den Briefschlitz zurufen.«
»Wundert mich nicht. Du kennst doch diese Polo-Pfefferminzbonbons,
die mit dem Loch in der Mitte. Also, wenn er Fernsehen kuckt, stopft Mickey
Travers das Loch mit einem Nasenpopel zu und steckt sich das Ganze in den Mund.
Und keiner sagt ein Wort. Ich geh duschen. Ich hab das Gefühl, ich brauch eine
Grundreinigung. Was ist das?«
Sie deutete auf den weißen Hut auf dem Tisch. Das war
schon die zweite Kopfbedeckung, die Michaela liegen gelassen hatte. Da war
offensichtlich ein Muster erkennbar.
»Ich war heute unterwegs und hab dir ein Geschenk mitgebracht,
Kleines. Ich hoffe, er passt.«
Sie setzte ihn auf, drehte ihn, bis er richtig saß, und
stellte sich dann vor den Spiegel in der Diele.
»Oh, Dad«, rief sie, »der ist toll. So
Audrey-Hepburn-mäßig.«
Sie kam zu mir gehüpft und drückte mir einen Kuss auf die
Wange, der erste richtige Kuss, den sie mir seit ihrer Ankunft gegeben hatte.
Es ging aufwärts.
»Lass uns was trinken«, sagte sie. »Schenk mir ein Glas
Wein ein, während ich rasch unter die Dusche gehe. Oder Sekt, wenn du welchen
dahast.«
Ich hatte tatsächlich welchen da, dieses Asti-Spumante-Zeugs,
das ich extra für einen Sommerpunsch besorgt hatte, damit Alice und ich was
hatten, um uns einen zu zwitschern, während wir den nächsten Schwung Fische
raushauten. Ich fand keine passenden Gläser, aber egal. Die Bläschen sprudelten
trotzdem, kitzelten in der Nase. Ich goss uns beiden ein Glas ein. Sie nahm
ihres mit nach draußen, schlenderte zum Teich. Ich folgte ihr auf den Fersen.
Ich wollte nicht, dass sie da zu viel rumschnüffelte, aber ich konnte sie wohl
kaum davon fernhalten. Außerdem wollte ich sehen, wie Mutter Teresa sich
machte. Ich hatte fast vergessen, dass sie da war.
Der Teich war totenstill, als wäre er leer, von Mutter Teresa
keine Spur. Ich machte mir ein bisschen Sorgen, um ehrlich zu sein. Karpfen
erkunden normalerweise ihre neue Umgebung, machen sich mit dem Revier vertraut,
schauen sich um, aber sie war abgetaucht. Ungewöhnlich. Wenigstens war sie
nicht gestorben oder so. Wenn sie gestorben wäre, hätte ich sie mit dem Bauch
nach oben im Wasser treiben sehen
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