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Binding, Tim

Binding, Tim

Titel: Binding, Tim Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fischnapping
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Kunstlehrerin dort, Miss Prossen
Emily. Sie hat mich zur Bildhauerei gebracht. Ich hätte ein ausgeprägtes
räumliches Vorstellungsvermögen, hat sie gesagt, und damals dachte ich, was für
ein dämlicher Schwachsinn, entschuldige meine Ausdrucksweise, aber jetzt ist
mir klar, was sie damit andeuten wollte. Sie hat mich ermuntert, Dinge anders
zu sehen, Carol, sie hat irgendwie einen Weg in mich hineingefunden, ohne dass
ich was gemerkt hab. Ich wusste, dass ich sie gern mochte, aber erst vor ein
paar Stunden hab ich gemerkt, wie sehr. Ich hab sie heute getroffen, per
Zufall, und da war er, direkt neben ihr, und hat zu mir hochgegrinst.«
    »Wer?«
    »Amor. Amor mit Bogen und jeder Menge Pfeilen. Direkt ins
Herz hat er sie mir geschossen, einen nach dem anderen. Robin Hood hätte es
nicht besser hingekriegt. Ich weiß, das kommt etwas plötzlich, aber so ist es
nun mal.«
    »Amor, so ein Quatsch. Wie alt ist sie?«
    »Was hat das denn damit zu tun?«
    »Alles. Wie alt?«
    »Ich weiß nicht genau, Liebes. Aber so ist das nicht. Ich
meine, wir haben nicht...«
    »Noch nicht vielleicht, aber du hast es vor, nicht wahr?
Verdammt, Dad, änderst du dich denn nie?«
    »Carol, Carol. Hör zu. Was glaubst du wohl, warum ich dir
das erzähle? Ich hätte schließlich nichts zu sagen brauchen, oder? Ich hätte
es für mich behalten können, mich heimlich mit ihr treffen, meinen Spaß mit ihr
haben, und keiner hätte was gemerkt. Aber das will ich nicht, Carol. Ja, ich
empfinde etwas für sie, wie jeder Mann, der verliebt ist, aber es sind
anständige Gefühle, Carol, Gefühle, wie ich sie nie zuvor empfunden habe, nicht
mal bei deiner Mutter. Ich weiß, ich weiß, aber so ist es nun mal. Die Sache
ist die, ich hab überlegt, sie einzuladen, zu uns, damit sie dich kennenlernt.
Ich hätte gern dein Einverständnis, Carol. Kannst du das nicht verstehen?«
    »Wolltest du deshalb, dass die Nymphe was anhat?«
    »Wie du gesagt hast, lächerlich, nicht? Ich möchte bloß
nicht, dass sie schlecht von mir denkt. Mir wird schon genug Schlechtes
unterstellt, von früher, auch ohne dass ich Öl ins Feuer gieße.«
    »Dad, sie ist Kunstlehrerin. Deine Nymphe wird sie schon
nicht irritieren. Wahrscheinlich hat sie früher selbst so posiert, auf der
Kunsthochschule und so.«
    »Meinst du?« Die Vorstellung gefiel mir gar nicht, meine
Emily als pudelnacktes Modell für irgendwelche Kunststudenten, die sie lüstern
begafften.
    »Dad, das machen viele, um sich was dazuzuverdienen. Das
hat nichts zu bedeuten. Ich bin sicher, sie ist... genau das, wofür du sie
hältst.« Sie blickte wieder ganz sanft, wissend, nachsichtig, als würde sie
mit mir mitfühlen.
    »Würdest du sie kennenlernen wollen? Wenn ich sie anrufe?
Sieh mal. Sie hat mir ihre Nummer auf den Arm geschrieben, mit Lippenstift, großartig,
was? Hat ihn praktisch ganz aufgebraucht, damit er nicht abgewaschen wird. Ich
meine, das ist nicht nur einseitig, Liebes.«
    »Das hoffst du. Sie macht hier Urlaub, vermute ich.«
    Ich nickte.
    »Na, dann ist es für sie vielleicht nicht unbedingt was fürs
Leben, Dad. Hast du das in Erwägung gezogen?«
    »Klar hab ich das. Na und? Trotzdem kann ich es ja versuchen.
Trotzdem kann sie ja auch interessiert sein. Es hat von Anfang an zwischen uns
geknistert, schon im Gefängnis, aber da ist es nicht unbedingt ratsam, seine
Gefühle zu zeigen. Sie mag mich, Carol, das weiß ich. Also, was meinst du? Soll
ich sie hierher einladen?«
    »Es ist dein Bungalow, Dad.«
    Mein Bungalow. Meine Tochter. Meine Emily.
    »Ich besorg richtigen Champagner, nicht diese keimfreie
Mundspülplörre. Und ich lade auch Alice ein. Wir machen 'ne richtige Party.«
    Ich flitzte ins Haus, griff nach dem Telefon. Meine Hand
zitterte, mein Bein schlotterte, und ich musste mich auf die Sofalehne stützen.
Vor lauter Nervosität konnte ich förmlich spüren, wie sich meine Blase füllte,
wie eine Wärmflasche.
    »Hallo?« Da war sie, ihre Stimme, klang genau so, wie ich
gewusst hatte, dass sie klingen würde, ganz hell und funkelnd, wie
Sonnenlicht, das auf Wellen tanzt. Plötzlich sah ich unsere Zukunft klar vor
mir, sie und ich, ich das raue Holz, sie das Schleifpapier, wie sie mich
glätten würde, wie wir dann zueinanderpassen würden, ineinander verschlungen,
wie eins von Henry Moores Paaren, unzertrennlich. Wir würden reden und lachen,
voneinander lernen, einander lieben. Ich würde ihr alles von meiner Mum
erzählen, dass sie für mich das Wichtigste auf der Welt war,

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