Binding, Tim
Dorfes. Sie sagte
mir, ich sollte dort einen Kunden abholen, und als ich da reinmarschierte,
waren sie alle versammelt, Audrey und Gil, die Newdicks, die Grogans, die
Stokies, das halbe Dorf, alle mit einem Glas Asti Spumante in der Hand, und
grölten Happy Birthday. Was für ein scheußliches Lied dieses Happy Birthday
doch ist, wie scheußlich die Leute aussehen, wenn sie es singen, dabei die
Münder aufreißen und immerzu lächeln. Mir läuft es jedes Mal kalt den Rücken
runter, wenn ich es höre, als würde öffentlich ein Todesurteil verlesen, um
einen an all die Zeit zu erinnern, die man vergeudet hat, an all die
Sackgassen, in die man reingeraten ist, an all das, was im Leben schiefgelaufen
ist, alles schön verpackt mit Geschenken und Glückwunschkarten und brennenden
Kerzen. Wieso überschütten sie einen nicht einfach mit einem Kanister Benzin
und machen kurzen Prozess? Dann müsste man es wenigstens nur ein einziges Mal
ertragen. Aber nein, kaum kommst du zur Tür rein, überfallen sie dich, und dir
bleibt nichts anderes übrig, als dazustehen und so zu tun, als wärst du ganz
aus dem Häuschen. Auch das ist was, was ich nicht abkann: nicht vorbereitet
zu sein. Es hätte mich nicht so verstört, wenn ich vorher informiert worden
wäre. Dann hätte ich damit klarkommen können, hätte mich in die entsprechende
Stimmung gebracht. Aber nein. Ich wurde überrumpelt, ohne Vorwarnung, eine
weitere Mehlbombe über der Tür, ein weiteres Mal unter Wasser getaucht. Also
drehte ich mich auf dem Absatz um, wollte schon zur Tür hinaus und mich drei
Tage lang besaufen, und da war sie, Miranda, stand direkt hinter mir. Sie war
noch ein Kind, aber sie war, wie soll ich sagen, weit für ihr Alter, nicht nur
körperlich, sondern wie sie die Welt und all ihre bösen Gedanken deutete.
»Nicht«, sagte sie und fixierte mich mit ihrem bohrenden
Kleinmädchenblick.
»Nicht was, Schätzchen?«
»Ich weiß, was du denkst. Tu's nicht. Bleib hier. Sei
lieb.«
Meine Laune besserte sich prompt. Ich glaube, es war das
erste Mal in meinem Leben, dass mich jemand bat, so etwas Kompliziertes zu tun.
Ich kitzelte sie unter dem Kinn.
»Für dich tu ich alles, mein Äffchen. Das weißt du doch.«
Also blieb ich. Und ich war lieb. Mann, war ich lieb. Ich
flirtete mit allen Ladys und witzelte mit allen Männern. Ich gab meine berühmte
kleine Tanznummer zum Besten, wie bei den Russen, wo man die Beine in der Hocke
noch vorne schleudert und die Arme dabei verschränkt hält, während alle im
Kreis klatschend drum rumstanden. Ich hielt eine kleine Rede, und am Ende gab
ich Audrey einen dicken Kuss. Ich war die reinste Stimmungskanone, aber es war
ein schweres Stück Arbeit für mich. Ich hab bestimmt anderthalb Pfund Wasser
und Fett ausgeschwitzt, so war ich mit den Nerven runter. Als wir wieder zu
Hause waren, hingestreckt im Dunkeln, nur noch ein Geschenk vor mir, beugte
Audrey sich zu mir rüber und sagte: »He, Alfred Greenwood. Du hast dich ja anscheinend
prächtig amüsiert.« Ich schob meine Lippen an ihr Ohr.
»Audrey, der Abend heute«, flüsterte ich, »war der
schlimmste in meinem ganzen gottverdammten Leben«, und sie lachte und schmiegte
sich an mich, ihren speckigen Arm über meinem Gesicht, und da wurde mir klar,
welchen Abscheu ich vor ihr empfand, vor jedem wabbligen Zentimeter von ihr.
Ich hatte das Gefühl, als hätte ich plötzlich einen klaren Kopf, voll reiner,
glänzender Erkenntnis, und ich fiel in die Belustigung mit ein, den Mund halb
begraben, lachte noch lauter, bis das ganze Bett, das ganze Haus, die ganze
verfluchte Welt von meinem kristallklaren Zorn erbebte. Ich glaube, da wusste
ich, irgendwo tief in mir, worauf es am Ende hinauslaufen musste. Sie oder
ich. Ich oder sie.
Danach bescherte Audrey mir nicht mehr viele Überraschungen,
bis zu der letzten, die vor dem Kamin ausgebreitet lag. Und jetzt auf einmal
folgten sie dicht aufeinander.
Ich wirbelte herum. Kim Stokie lehnte am Gartenzaun.
Hinter ihm im Haus sah ich Gaynor, seine Frau, die mich
unter ihrem wasserstoffblonden Bürstenschnitt durchs Küchenfenster anstarrte,
während ihre rosa, gummibehandschuhten Arme in der Spüle rumstocherten. Es sah
aus, als würde sie kleine Kätzchen ertränken. Gaynor hatte ein Schielauge,
eins, das sich nie irgendwohin bewegte, fast wie sie selbst. Seit sie vor zehn
Jahren über die Schwelle getragen worden war, als achtzehnjährige Braut, hatte
Gaynor nie wieder einen Fuß vor die Tür gesetzt. Sie bezog
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