Binding, Tim
ins Haus.
Ich stand da und sah ihm nach. Er ließ die Schultern hängen
wie ein Mann, dem das Leben unter den Füßen weggezogen wurde. Wenn ich was wüsste?
Miranda erzählte mir doch alles. An den Nachmittagen im Wohnwagen hatte ich
mich fast wie ein Mensch gefühlt, als würde ich endlich jemandem nahe sein.
Religion, Politik, ich konnte sie sogar für Leonard Cohen begeistern; Suzanne,
Bird On the Wire, Songs ofLove and Rate, sie war wie ich, sie hatte was
übrig für Melancholie, mochte den dunklen Strudel unter der Oberfläche. Das
Glatte, Reibungslose war im Grunde nichts für uns. Wir brauchten etwas anderes.
Sie wusste alles über mich, wusste von meinem Hang zu den Kirschen in Nachbars
Garten, und sie verstand es. Einmal fragte sie mich, was uns dazu bringt, die
Grenze zu überschreiten. Ich nahm ihren Zeigefinger und legte ihn auf mein
Handgelenk.
»Das hier«, sagte ich, »weil wir fühlen wollen, wie es
durch uns durchrauscht«, und sie nickte. Wir waren, wie heißt es so schön, auf
einer Wellenlänge. Und jetzt deutete Kim an, ich würde sie nicht kennen. Was?
Meine Miranda?
Audrey stand in der Tür. Ich warf einen Blick nach hinten
auf die Tasche im Auto. Es würde kein Problem sein, aber es war mir trotzdem
lieber, dass sie sie nicht sah. Sie hatte das Telefon in der Hand.
»Anruf für dich«, sagte sie. »Der Major, den du heute Morgen
abgeholt hast.« Sie legte eine Hand auf die Sprechmuschel. »Umschmeichle ihn
ein bisschen, Al. Man kann nie wissen, vielleicht passiert ein Wunder.
Vielleicht verschafft er dir noch mehr Fuhren. Ian kann uns mal. Wir brauchen
das Geld.« Sie drückte mir das Telefon in die Hand. »Ich bin mal kurz weg. Bist
du da, wenn ich wiederkomme?«
Ich nickte, schüttelte dann den Kopf. Ich wusste nicht, wo
ich sein würde. Gerade mal vierundzwanzig Stunden waren vergangen, und ich war
schon ganz schön geschlaucht. Ein Mord, Gott weiß was sonst noch alles, und
Miranda vermisst. Und ich war meinem Ziel, das gute alte Mädchen abzuservieren,
noch keinen Schritt näher. Eher noch weiter davon entfernt. Audrey drehte sich
halb um, als ich mich an ihr vorbei ins Haus schob, und tätschelte mir den
Hintern. Ich hörte, wie sie vor sich hin summte, als sie losging. Gott, her mit
dem Strychnin! Ich räusperte mich.
»Major Fortingall. Schön, dass Sie anrufen. Soll ich Sie
zurück nach Wool zum Bahnhof bringen?«
»Nein, nein. Haben Sie sie?«
»Was soll ich haben, Major?«
»Meine Tasche. Meine Sporttasche.«
»Ihre Sporttasche?«
»Ja, ich muss sie in Ihrem Wagen liegengelassen haben.«
»Wirklich?« Ich genoss es in vollen Zügen. Ich konnte mir
vorstellen, wie er sich am anderen Ende der Leitung wand.
»Ja. Sie haben sie im Fond auf den Boden gestellt.« Er
wurde langsam ungeduldig. Ich musste unwillkürlich gähnen.
»Verzeihung. Ja, stimmt. Aber ich glaube nicht, dass sie
noch da ist. Ich geh rasch nachsehen. Dauert nicht lange.«
Ich legte den Hörer hin, ging nach draußen, setzte mich
auf die Stufe und zündete mir eine Zigarette an. Es war ein heller, strahlender
Nachmittag, wie an einer Wäscheleine aufgehängt, grüne Flächen, gelbe Bahnen,
alles sauber und frisch in der Sommerbrise, alles an seinem Platz, der kuppeiförmige
Hügel, der breite Kreideweg, die Vertiefung im Land, wo das kalte Meer lag. Man
hätte nicht meinen sollen, dass am Tag zuvor ein Unwetter getobt oder ich
jemanden im strömenden Regen in die Arme des Schöpfers gestoßen hatte. Ich
stand auf, öffnete die hintere Wagentür und holte den BH und die Sporttasche
des Majors raus und trug beides ins Haus. Ich nahm das Telefon und ging damit
ins Schlafzimmer, wo ich die Tasche aufs Bett warf.
»Tut mir leid, Major, sie ist nicht da. Ich bin sicher,
ich hab gesehen, wie Sie sie mitgenommen haben. Vielleicht haben Sie sie
irgendwo stehenlassen, und jemand hat sie mitgenommen, auf dem Stützpunkt. Sie
wissen ja, wie die da inzwischen auf unbewachte Gepäckstücke reagieren. Fragen
Sie doch mal beim Sicherheitsdienst nach, ehe der Sprengmittelräumdienst sie
von einem Roboter sprengen lässt.«
Er hielt nichts von dem Ratschlag.
»Seien Sie nicht albern. Ich sage Ihnen doch, sie ist
nicht hier. Ich weiß genau, dass ich sie in Ihrem Taxi vergessen habe.«
»Na, da ist sie jedenfalls nicht mehr, und gestohlen worden
kann sie nicht sein. Ich schließe den Wagen immer ab.« Ich öffnete die Tasche
erneut, wühlte mit den Fingern in der Unterwäsche. »Die Joggingsachen, die Sie
da drinhaben?
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