Binding, Tim
Invalidenrente,
aber Kim musste alles machen, mit dem Hund Gassi gehen, einkaufen, sogar allein
in Urlaub fahren. Mich ärgerte das. Audrey hatte Wehwehchen ohne Ende, eins für
jeden Tag im Jahr, aber darunter kein so angenehmes. Wenn der Urlaub kam,
schaffte Audrey es immer, wieder zu Kräften zu kommen, das heißt, bis sie im
Hotel war. Dann lief wieder alles wie gehabt, bloß acht Stockwerke höher, plus
Mehrwertsteuer.
»Ich muss mit dir reden, Al«, sagte er.
»Ja?« Ich warf rasch den BH zurück, schloss die Tür. Ich
glaubte nicht, dass er irgendwas gesehen hatte, aber bei Kim konnte man nie
wissen. Er war ein gerissener kleiner Scheißer. »Was ist denn? Macht der
Peugeot noch immer Zicken?« Ich ging zu ihm. »Hast du das mit Miranda gehört?
Ted Grogan ist krank vor Sorge.«
Er zuckte die Achseln.
»Das wird ihm eine Lehre sein, seinen Schwanz irgendwo
reinzustecken, wo er nichts zu suchen hat, oder? Die ist abgehauen, mehr
nicht. Früher oder später kommt die wieder.«
Er funkelte mich an, als erwartete er von mir, ihm zuzustimmen.
Ich sagte nichts.
»Egal, ich will nicht über Mandy reden.« Er drohte mir mit
einem Finger. Er war langsam, aber er hatte große rote Hände, wund wie ein
gehäuteter Fisch.
»Audrey war gestern bei uns. In einer furchtbaren Verfassung.«
»Audrey?«
»In einer furchtbaren Verfassung, hat Gaynor gesagt.«
»Dann warst du nicht da?«
»Natürlich nicht. Ich war arbeiten.«
»Stimmt.« Arbeiten hatte in Kims Wörterbuch eine breite
Palette von Definitionen. »Wann war das?«
»Am Nachmittag. Sie wollte wissen, ob wir Whisky dahaben.
Verzweifelt war sie, hat Gaynor gesagt, wie ein Hund mit Tollwut. Eine halbe
Flasche hat sie sich von uns geborgt, eine halbe Flasche. Ich kann das nicht
leiden, wenn jemand uneingeladen reingeschneit kommt. Gaynor kann das auch
nicht leiden, den ganzen Dreck, den sie ins Haus geschleppt hat. Wozu braucht
Audrey denn eine halbe Flasche Whisky? Trinkt sie sich jetzt schon nachmittags
einen an?«
»Nein, natürlich nicht«, beteuerte ich, obwohl ich gleichzeitig
dachte, dass er vielleicht nicht ganz falsch lag. Wenn ich's recht überlegte,
lag er eigentlich sogar richtig. Audrey schluckte in letzter Zeit ganz schön
was weg, Nachmittage eingeschlossen. Na schön, späte Nachmittage, aber immerhin
Nachmittage. Da ich mich gedanklich mit anderen Dingen beschäftigte, hatte ich
es nicht so richtig mitgekriegt. Es war eine interessante Entwicklung.
Übermäßiger Alkoholgenuss kann allerlei unangenehme Folgen haben: Appetitverlust,
mangelndes Selbstwertgefühl, gelegentlich auch einen Sturz kopfüber die Treppe
hinunter. Vielleicht wäre ein Stockwerk mehr die Lösung meines Problems. Ich
könnte unseren Bungalow aufstocken lassen, Audrey die Treppe runterbefördern,
sie beerdigen und den Bauunternehmer wegen Nachlässigkeit verklagen. Ich würde
jede Menge Mitgefühl dafür ernten. Ich konnte mich selbst schon hören, die
Gelassenheit und Andacht in Person. »Sie hatte sich eine bessere Aussicht
gewünscht, und jetzt hat sie die allerbeste Aussicht überhaupt, vom Himmel.«
Ich zog mein Portemonnaie aus der Gesäßtasche. Er schüttelte den Kopf.
»Es geht nicht um Geld.« Von wegen. Bei Kim geht's immer
um Geld.
»Das weiß ich doch, aber ich kann dich gut verstehen. Ich
will ehrlich zu dir sein, Kim. Ich mache mir in letzter Zeit ein bisschen
Sorgen um Audrey. Sie ist jetzt in diesem Alter. Ich hab gesagt, sie soll zum
Arzt gehen, aber...« Ich zuckte auf Männerart die Schultern. Er nickte
verständnisvoll.
»Also, sag schon, wie viel?«
Ich sah ihm förmlich an, wie er in Gedanken kalkulierte.
Zehn Pfund für den Whisky, ein Zuschlag für die psychische Belastung, nicht zu
viel, aber auch nicht zu wenig.
»Fünfzehn müssten reichen.«
»Sagen wir zwanzig. Trink einen auf mich. Sag Gaynor, es
tut mir leid.«
Kim lächelte breit. Er hatte ein merkwürdig flaches Gesicht.
Es wurde gemunkelt, sein Dad hätte ihm, als er ein kleiner Steppke war, eins
mit dem Dampfbügeleisen verpasst. Klang einleuchtend.
»Fährst du diese Woche raus auf Hummerfang? Ich kann dir
helfen, wenn du willst, ich hab frei.« Ich wollte noch immer raus zu der
Klippe.
»Mittwoch. Mittwochmorgen. Gegen halb sieben.«
»Ich bin dabei. Und wenn du was Neues über Miranda hörst«,
fügte ich hinzu, »sag mir Bescheid, ja? Sie ist ein gutes Mädchen.« Sein
Gesicht veränderte sich jäh.
»Gutes Mädchen! Wenn du wüsstest«, schnaubte er und
stapfte zurück
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