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Bindung und Sucht

Bindung und Sucht

Titel: Bindung und Sucht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl Heinz Brisch
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tierische Traurigkeits- und Trennungsstress-System. Tierdaten (links): aus lokaler Stimulation gewonnene Kartierung des Trennungsstress-Schaltkreises des Meerschweinchens (Herman & Panksepp 1981); Humandaten (rechts) aus Damasio et al. 2000. (Abbildung abgewandelt nach Panksepp 2003 b; OB = Bulbus olfactorius, AC = anteriores Cingulum, CC = Corpus callosum, VS = ventrales Striatum, BN = Bed Nucleus der Stria terminalis, DMT = dorsomedialer Thalamus, PAG = zentrales Höhlengrau, CB = Kleinhirn)
    Der PANIC-Schaltkreis beginnt in den zentralen grauen Regionen des Mittelhirns, die heute allgemein als das zentrale Höhlengrau (PAG) bezeichnet werden, zieht sich durch das mittlere Dienzephalon, vor allem durch den dorsomedialen Thalamus, und endet in den eher ventralen oder subkallosalen Regionen des vorderen zingulären Cortex. Die Hemmung dieses Systems durch Tiefe Hirnstimulation (THS) könnte bei der direkten Modulation des neuronalen Systems therapieresistenter Depressionen bereits positiv gewirkt haben (Mayberg et al. 2005).
    Die entscheidenden neurochemischen Veränderungen, die Trennungsrufe (Protest) fördern, sind nachlassende Opioid- und Oxytocin-Ausschüttungen und erhöhtes CRF (Corticotropin Releasing Factor), kombiniert mit vermehrter glutamaterger Aktivität im PANIC-Schaltkreis des Gehirns – wobei die Neuropeptide für die Steuerung der spezifischen sozial-affektiven Reaktionen des Gehirns vermutlich wichtiger sind als die exzitatorische Aminosäure Glutamat. Dennoch sollte die Hemmung sowohl der neuropeptidischen als auch der glutamatergen»Förderer« von Panik (vgl. z. B. Normansell & Panksepp 2011; Panksepp et al. 1988) dazu beitragen, die unguten Gefühle der Depression zu lindern, und was jüngst an Arbeit in dieser Richtung geleistet wurde, ist ja auch durchweg vielversprechend (Holsboer 2000; Zarate et al. 2006).
    Die entscheidenden neurochemischen Substanzen, die speziell den Trennungsschmerz reduzieren können, sind Opioide, die die Mü-Rezeptoren aktivieren: Oxytocin und Prolactin (Panksepp 1981, 1998). Sie alle könnten als potentielle Vektoren für die erfolgreiche Bekämpfung jener affektiven Veränderungen angesehen werden, welche die Depression fördern. Süchtigmachende Opioide, die Depressionen als Routinebehandlung sehr effizient, aber nur vorübergehend lindern, wird man eben wegen ihres Abhängigkeitspotentials natürlich nicht einsetzen wollen (auch wenn sie bis zum Aufkommen der modernen Pharmakotherapie psychiatrischer Störungen in den mittleren 1950er Jahren als letztes Mittel weithin angewandt wurden; Tenore 2008). Wie wir weiter unten allerdings noch darlegen werden, sind sichere Opioide (die die Opioid-Rezeptoren nur bei geringer Dosierung stimulieren, während sie bei hoher Dosierung zu Antagonisten werden) wie das extrem niedrig dosierte Buprenorphin sehr effiziente Antidepressiva für Menschen, bei denen keine andere Medikation zu einer anhaltenden Linderung der Depression führte (Bodkin et al. 1995). Zudem schwindet mit der neuen Möglichkeit, niedrige Dosen von Buprenorphin über die Haut zu verabreichen, die Gefahr, dass es zu einem verhaltensvermittelten Suchtzyklus kommt, noch weiter.
    Zentral appliziertes Oxytocin ist ebenfalls von bemerkenswerter Wirksamkeit, was die Linderung von Trennungsschmerz und die Förderung des Bindungsverhaltens im Rahmen von Tiermodellen angeht (Panksepp 1992; Nelson & Panksepp 1998). Ob nichtpeptidische oxytocinerge Wirkstoffe, die die Bluthirnschranke überqueren – an der Entwicklung dieser Stoffe wird soeben gearbeitet –, so ausgerüstet werden können, dass sie zur Wiederherstellung der affektiven Homöostase im exzessiv erregten PANIC-System eines Menschen beitragen, müsste nachgewiesen werden (aber die psychischen Wirkungen, wie sie im Rahmen von Studien zur intranasalen Verabreichung beobachtet wurden, sind vielversprechend; vgl. z. B. Heinrichs & Domes 2008; Insel 2010; Nelson & Panksepp 1998). In diesem Zusammenhang möchten wir anmerken, dass zu den selten in Betracht gezogenen Wirkungen dieses Neuropeptids die Fähigkeit zählt, die Aktivität endogener Opioid-Prozesse aufrechtzuerhalten, wobei positive soziale Gefühle im Wege einer Hemmung der Toleranzentwicklung gegenüber Opioiden erhalten bleiben. Das führt zu einer besseren Affektregulierung und zu einem Nachlassen der Suchtmittelabhängigkeit (Panksepp 1981, 1998, 2005 b).
Trennungsschmerz/PANIC als Einfallstor der Depression
    Das PANIC-System hat sich

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