Bindung und Sucht
detailliertere Darlegung der neurochemischen Hintergründe der hier vorgetragenen Ansicht, begleitet von sieben Expertenkommentaren, findet sich bei Watt & Panksepp (2009). Die vorliegende Arbeit bietet nur eine Synopse der dort dargestellten Argumente und konzentriert sich eher auf die neuen therapeutischen Implikationen. Erwähnt werden sollte, dass die Grundlagenforschung auf diesem Gebiet weitgehend an präklinischen Tiermodellen betrieben worden ist; wir wollen hier aber keinen Überblick über frühere Modelle geben, sondern nur festhalten, dass die meisten Forscher mit einer Vielzahl grober und sehr allgemeiner physischer Stressoren (chronische unvorhersehbare Bestrafungen) oder mit sozialen Stressoren (z. B. wiederholte soziale Niederlagen im Rahmen aggressiver Begegnungen von Adulttieren) arbeiteten, mit Mitteln also, die dasemotional-affektive System des Gehirns gar nicht so direkt erreichten, wie das heute möglich ist. (Ausführliche Darstellungen solcher präklinischen Tiermodelle der Depression finden sich im Sonderheft der Neuroscience and Biobehavioral Reviews , Band 29 [5], 2005: Animal models of depression and antidepressant activity ). Zwar kommt es in Reaktion auf solche existentiellen Herausforderungen leicht zu vermeintlichen Erscheinungsformen der Depression, die sich durch »erlernte Hilflosigkeit« auszeichnen, doch lassen diese Modelle das für neutrale Situationen relevante affektive Leben außer acht. Das reduziert die Vergleichbarkeit der Ergebnisse.
Schwachpunkte der aktuellen präklinischen und medizinischen Herangehensweise
Die gebräuchlichen mit Stressinduktion arbeitenden präklinischen Depressionsmodelle weisen viele Unzulänglichkeiten auf, von denen eine allerdings besonders problematisch ist: Nur wenige von ihnen versuchen, Depressionen ganz direkt, nämlich durch Modifizierung und Überwachung der insoweit besonders relevanten affektiven Netzwerke des Gehirns hervorzurufen und zu messen. Da die meisten Modelle mit recht allgemeinen Verhaltensmessungen arbeiten, ist ein eindeutiger funktionaler Zusammenhang mit menschlichen Problemen affektiver, psychodynamischer oder interpersonaler Art, die für klinisch tätige Praktiker ja von größtem Interesse sind, in der Regel kaum gegeben. Diese Modelle befassen sich nicht mit den psychologischen Sachverhalten, die von so großer Bedeutung für das Gefühl des sozialen Verlusts und der sozialen Niederlage sind, für Gefühle also, die bei der Genese sowohl der Depression als auch der Suchtmittelabhängigkeit eine Rolle spielen (siehe Solms & Panksepp 2010 sowie Zellner et al. 2011 zur psychodynamischen Diskussion dieser Perspektive).
Da die Depressionsforschung sich in den letzten 40 Jahren des 20. Jahrhunderts sehr stark auf die Konsequenzen von Stresserfahrungen (De Kloet et al. 2005; McEwen 2007) und auf die Dynamik der Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin im Gehirn (beginnend etwa mit Schildkraut 1965, bis hin zu Harro & Oreland 2001) konzentrierte, wurde eine Schlüsselfrage weitgehend vernachlässigt: Warum eigentlich ist die Depression ein so schmerzliches Gefühl? In generalisierten Verhaltensanalysen spielte die Fähigkeit weithin bekannter Botenstoffe wie des Serotonin, jedes emotionale Verhalten zu dämpfen, eine übergroße Rolle. Nur wenige Studien suchten dagegen die spezifischen affektiven Veränderungen zu verstehen, die Organismen erleiden. Es kann daher nichtso sehr überraschen, dass so viele psychiatrische Probleme sich mit Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRIs) behandeln lassen, obwohl deren Wirkungen, über große Kohorten hinweg evaluiert, bescheiden sind (das wird sehr anschaulich in den enttäuschenden Ergebnissen der STAR*D-Studie; Rush et al. 2003; Rush 2007).
Es fällt also zunehmend schwer zu glauben, dass solche allgemeinen serotonergen und/oder noradrenergen Veränderungen des Gehirns, die alles regulieren, was Tiere tun, speziell die morbide Stimmung der Depression erklären könnten, auch wenn sie sicherlich die affektive Erregung regulierten (Delgado et al. 1990). Tatsächlich können wir darauf vertrauen, dass Serotonin und Noradrenalin generelle Erregungsfunktionen regulieren können, die alle Emotionen und so gut wie alle zugehörigen kognitiven Prozesse beeinflussen. Natürlich hat die präklinische Forschung sich in jüngerer Zeit dankenswerterweise sehr stark auf neurotrophische Faktoren (Koziek et al. 2008), auf das stress-induzierte Schrumpfen des Hippocampus und die Inflammation des
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