Bindung und Sucht
des negativen Affekts vermitteln, der durch sozialen Verlust hervorgerufen wird und die Responsivität des (belohnungssuchenden) SEEKING-Systems nachweisbar reduziert (McLaughlin et al. 2006). Dieser Prozess konnte sowohl an den Synapsen-Enden (Mu et al. 2011) als auch bei der Modulation positiver Affekte durch Neuropeptide wie Orexin (Nocjar et al. 2012) nachgewiesen werden.
Alles in allem: Auch wenn negative affektive Veränderungen in den opioid- und oxytocingesteuerten Bindungs- und Zuneigungssystemen die Hauptauslöser sowohl von Suchtimpulsen als auch von depressiven Kaskaden sein können, so ist es doch die affektive Dysphorie des reduzierten SEEKING-Impulses, die sozusagen »der Nagel zum Sarg ist«. Dieses Szenario steht im Einklang mit der Theorie der biogenen Amine, weil diese generellen Merkmale der physio-psychologischen Organisation am Erregungspegel aller Emotionen beteiligt sind, die Tiere erkennen lassen. Angesichts der Vieldimensionalität der Depression muss esunter ihren zahlreichen Unterarten viele Varianten dieser elementaren Themen geben. So könnte z. B. die durch eine Trennungserfahrung verursachte anhaltende Reaktion des psychischen Schmerzes manche Depressionen stärker kennzeichnen als andere, und das dynorphinbedingte »Abschalten« des dopamingesteuerten appetitiven SEEKING-Verhaltens (also etwa der Umstand, dass manche depressiven Personen in nahezu krankhaft amotivationaler Trägheit »aufgeben«) könnte eine weitere bedeutsame Variante der Depression darstellen (Nocjar et al. 2012).
Neben den schon ins Blickfeld gerückten neurochemischen Abläufen wird es viele hirnphysiologische Faktoren und weitere neurochemische Kaskaden geben, die diese Abwärtsspirale notwendig fördern oder verzögern (vgl. z. B. Feder et al. 2009). Sie aufzuhalten und umzukehren ist das Ziel nicht nur der verschiedenen Zweige der Psychotherapie, sondern auch der Psychopharmakologie. Unserer Meinung nach könnten neue therapeutische Methoden, die auf die lustfördernden Aspekte des CARE-Systems (der wesentlichen Grundlage von Empathie) und des PLAY-Systems (der wesentlichen Grundlage gemeinschaftlicher Freude) setzen, sich als für bessere therapeutische Ergebnisse besonders bedeutsam erweisen. Wir wollen allerdings keine psychotherapeutischen Behandlungskonzepte entwickeln, die in Fällen akuter depressiver Episoden für die Wiederherstellung von Zugehörigkeit und Bindung sorgen; hier wollen wir vielmehr a) neue Konzepte in der Chemotherapie der Depression vorstellen, b) einen Überblick darüber geben, wie sich der Verlauf der Nervenfasern des PANIC- und des SEEKING-Systems, die beide von so großer Relevanz für die Depression sind, beim Menschen analysieren lässt, und c) zeigen, dass die modernen Verfahren der Tiefen Hirnstimulation eine dramatische Bestätigung sowohl der Wirksamkeit direkter Manipulationen an diesen Systemen wie auch der Bedeutung der elementaren Affektsysteme für die psychische Gesundheit des Menschen darstellen.
Neue psycho-chemotherapeutische Konzepte
Zusätzlich zur Entdeckung neuer Anwendungsmöglichkeiten für altbekannte chemische Substanzen – wie z. B. das Cycloserin, ein glutamaterges Pharmazeutikum, das bei verschiedenen Störungen zur Konsolidierung psychotherapeutischer Erfolge eingesetzt wird (z. B. Wilhelm et al. 2008) – können wir uns dank unserer zunehmenden Kenntnis der primär-bewussten affektiven Systeme des Gehirns jetzt weitere vorteilhafte psychophysiologische Einflüsse vorstellen. Was die wichtigen neurochemischen Vorgänge im Zusammenhang mit sozialenBindungen und der Linderung von Trennungsschmerz angeht, so lassen sich direkte antidepressive Wirkungen mit bereits existenten Mitteln zur Förderung positiver Affekte erzielen. Aus Platzgründen wollen wir hier nur über die antidepressiven Wirkungen moderater Dosen des sicheren Opioids Buprenorphin sprechen. Herausstellen wollen wir auch, dass chemotherapeutische Agenzien, die positive Affekte begünstigen, sich aus der genetischen Analyse des gefühlsmäßigen Erlebens der SEEKING- und PLAY-Systeme ergeben können.
Was das Buprenorphin angeht: Vor der Ära der modernen Psychopharmakologie standen den Psychiatern nur Opioide zur Behandlung psychischer Leiden zur Verfügung (Tenore 2008). Sie waren kurzfristig zwar als Antidepressiva sehr wirksam, aber die Tatsache, dass sie das Potential hatten, süchtig zu machen, stand einer längerfristigen Einnahme entgegen, wobei wir allerdings vermuten, dass man
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