Biodiversität: Unsere wertvollste Ressource
Asiatische Karpfen im Mississippi überhandnehmen. Mit dem Klimawandel könnten ganze Großlandschaften „umkippen“, so etwa die Tundren in den Weiten Russlands, wenn der Permafrostboden zu stark auftaut, oder der Amazonas-Regenwald, wenn der sich selbst erhaltende Prozess aus Regen und Verdunstungunterbrochen wird. Eine aktuelle Studie für das Übereinkommen zur Biologischen Vielfalt listet eine ganze Reihe solcher möglicher Kipp-Punkte auf.
Zu den Wurzeln – und zurück zum Menschen
Es ist recht einfach, die beschriebenen Gründe für den Verlust der Biodiversität auf die ausbeuterische Seite des Menschen und seines Umgangs mit der Natur zurückzuführen. Der Natur- und Artenschutz mit seiner Ausrichtung auf Flaggschiff-Arten als Symbole dieses Verlustes nutzt diese emotionale Seite der Wertschätzung der Natur gezielt für seine Arbeit. Und natürlich ist der Kern dieses Ansatzes richtig. Die Menschheit hat sich nie schneller von dem Pfad wegbewegt, der seit dem Erdgipfel von Rio de Janeiro 1992 als Nachhaltigkeit bekannt ist: nicht mehr Ressourcen zu verbrauchen, als die Erde dauerhaft zur Verfügung stellt. Unsere wachsende Weltbevölkerung und unser steigender Pro-Kopf-Verbrauch an Naturgütern und -dienstleistungen wird dem aber auch zukünftig erheblich entgegenstehen – mit einem entscheidenden Unterschied im Vergleich zu 1992: Die Wucht der Katastrophen, die die Natur über den Menschen bringt, wird sich verstärken. Vielleicht gilt das weniger für Erdbeben und Tsunamis, aber für Dürren, Stürme und andere Klimaextreme, die die Regulierungs- und Versorgungsleistung der Natur schlichtweg überfordern. Auch die Ausbreitung von neuen Krankheitserregern von Tier zu Mensch und zwischen den Menschen wird sich verstärken und die global vernetzte Gesellschaft vor neue Herausforderungen stellen.
Die zugrundeliegende, durch unsere globale Wirtschaftslogik getriebene Ausbeutung nannte der UN-Generalsekretär Ban Ki-Moon auf dem Weltwirtschaftsforum 2011 in Davos einen „globalen Selbstmordpakt“.
Wenn man sich bei all diesen Herausforderungen nicht mehr sicher ist, was man überhaupt machen kann, ist es sinnvoll, sich ihnen von einem Ziel her zu nähern, etwa von der Vorstellung einer Welt, wie wir sie im Jahr 2050 haben wollen. In Bezug auf die Biodiversität gibt es hierzu sogar einen weltweiten Konsens, auch wenn er etwas blumig daherkommt. Die Vertragsstaaten des Übereinkommens zur Biologischen Vielfalt hatten 2010 in Nagoya als Fernziel beschlossen, dass die Menschheit in „Harmonie mit der Natur leben muss: Bis 2050 wird die Biodiversität wertgeschätzt, erhalten, wiederhergestellt und weise genutzt, sodass Ökosystemdienstleistungen, die einen gesunden Planeten erhalten und essentielle Leistungen für alle Menschen liefern, gesichert werden.“
Was hier etwas abstrakt daherkommt, trifft doch die zentralen Herausforderungen, mit denen wir uns beim Umgang mit der Natur konfrontiert sehen. So muss das Wertesystem gegenüber der Natur verändert werden (wertgeschätzt), um sie einerseits zu erhalten und wenn nötig wiederherzustellen (was viel teurer ist), und so genutzt werden, dass sie unsere Bedürfnisse durch ihre Leistungen erfüllen kann. Das Weniger und das Mehr müssen also besser ins Gleichgewicht gebracht werden.
Gleichzeitig macht diese Vision auch deutlich, dass es jeden angeht: Die (fehlende) Wertschätzung betrifft jeden einzelnen Menschen und die Art und Weise, wie er sie in seinem täglichen Verhalten umsetzt – aber auch umsetzen kann, je nach den Bedingungen einer Gesellschaft. Wie die Zahlen aus der Studie der Bundesregierung zeigen, ist etwa das Naturbewusstsein in Deutschland sehr hoch, viele Menschen wollen etwas für die Natur tun. Aber zu wissen, was dies sein kann und dass man es überhaupt umzusetzen vermag, ist eine Aufgabe der Gesellschaft. So hätte man etwa vor zwanzig Jahren in Deutschland noch kaum ökologisch produzierte Lebensmittel kaufen können, heute sind sie weit verbreitet, auch weil die Politik den ökologischen Landbauzumindest zeitweise stark gefördert hat. Schwierig bleibt aber ein ökologisch bewussteres Verhalten in vielen anderen Bereichen, etwa bei der Mobilität, wo die Anreize zur Zersiedelung der Landschaft und die Abhängigkeit vom eigenen Auto lange Zeit als gegeben hingenommen wurden und erst sehr langsam ein Umdenken einsetzt. Heutzutage ist für viele Menschen nicht mehr das Auto das Hauptstatussymbol, sondern das Mobiltelefon.
Bei der
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