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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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pflichtbewusste Nationalisten zusammen. Du bist doch pflichtbewusst?«
    »Schon«, antwortete Lena.
    »Dann tritt uns bei. Wir treffen uns dreimal die Woche um sieben. Wir besprechen Neuigkeiten und arbeiten an einem Aktionsplan. Wir tauschen Ideen aus, die für die Ukraine nützlich sind. Du wirst mir doch recht geben, dass etwas getan werden muss?«
    Da gab Lena ihm natürlich recht.
    »Leben und nichts tun führt zum Verfall«, meinte Darwin abschließend. »Man muss handeln. Bist du damit einverstanden?«
    »Bin ich.«
    Die »Bewegung des Widerstandes« hatte ein Zimmer in einer alten Wohnung in der Innenstadt gemietet. Der Raum war fast leer. Es gab nur ein paar Stühle, einen Tisch und ein großes Portrait von Stepan Bandera, das an der weißen Wand hing. Lena gefiel die asketische Einrichtung, sie förderte die Inspiration, die Entwicklung neuer Ideen, die schon bald die Welt verändern würden. Lena empfand sich als Teil einer geheimen Revolutionsbewegung und war die nächsten Wochen über regelrecht euphorisch.
    Bei ihren Treffen studierte und diskutierte die Gruppe die Biografien der großen Ukrainer: Donzow, Konowalez, Petljura und selbstredend auch Stepan Bandera. Den Vorsitz führte ein kleiner, aber sehr redefreudiger Geschichtsstudent. Wenn er sprach, fuchtelte er wild mit den Händen und blickte seinen Zuhörern direkt in die Augen. Nach jeder Aussage, zu welchem Thema auch immer, setzte er ein »Nicht wahr?« nach. Seine Zuhörer nickten: »Jawohl!« Nicht, weil sie wirklich seiner Meinung waren, sondern weil sie das Gefühl hatten, er würde sie um Erlaubnis bitten und auf ihre Meinung Wert legen.
    Irgendwie erinnerte dieser Vorsitzende Lena an Lenin aus alten sowjetischen Filmen, in denen Wladimir Iljitsch vor der versammelten Arbeiterklasse ebenfalls mit den Händen fuchtelte und sich gleichzeitig hinter seinem Rednerpult verschanzte. Damit keiner merken sollte, was für ein Zwerg er war.
    Nach eingehendem Studium aller wichtigen Biografien und Postulate des ukrainischen integralen Nationalismus fragte Lena so etwa beim zehnten Treffen:
    »Und, was machen wir jetzt? Wie sollen wir die Welt verändern? Ich bin bereit, konkrete Schritte zu setzen.«
    Alle schlossen sich ihrem Tatendrang an.
    »Zu tun gibt es genug«, sagte der Vorsitzende, »nicht wahr?«
    »Jawohl!«
    »Es ist der Vorschlag eingegangen, die Umbenennung der Bauarbeiterstraße in Stepan-Bandera-Straße in die Wege zu leiten.«
    »Was haben die Bauarbeiter verbrochen?«, fragte Lena, »sind sie denn keine wertvollen Menschen? Bauarbeiter zu sein ist ein schöner Beruf. Sie bauen Häuser für uns, und das ist echt kein leichter Job, das sag ich euch.«
    Der Zwerg wurde nervös, war aber intelligent genug, sich nichts anmerken zu lassen.
    »Bauarbeiter ist natürlich ein schöner Beruf, aber warum muss die Straße so heißen? Es ist eine kommunistische Tradition, Straßen nach Vertretern der Arbeiterklasse zu benennen: Bauarbeiter, Feuerwehrleute, Bergarbeiter …«
    »Kommen auch Taucher in dieser Liste vor?«, fragte Lena, weil es sie wirklich interessierte.
    »Die vielleicht auch«, schnauzte der Vorsitzende, »aber darum geht es nicht, nicht wahr?«
    Und alle wieder, brav im Chor: »Jawohl!«
    »Eine nationalbewusste Gesellschaft benennt Straßen nach ihren Helden«, sprach der geistige Anführer, »und bezieht sich nicht auf die Begrifflichkeit eines totalitären Regimes, wie die Sowjetunion eines war.«
    »Na gut«, lenkte Lena ein, »wenn die Bauarbeiter euch so ein Dorn im Auge sind, können wir sie von mir aus auch umbenennen. Wobei es mir persönlich wichtiger wäre, unserer Stadt wieder den alten Namen San Francisco zu geben, statt der hässlichen aktuellen Bezeichnung … Was müssen wir also machen?«
    »Wir werden einen Antrag bei der Stadtverwaltung einreichen«, sagte der Vorsitzende, »aber das wird nicht genügen. Die brauchen ewig, bis sie eine Straße umbenennen. Wir müssen radikaler vorgehen.«
    Lena war zu radikalen Handlungen bereit und drängte als Erste auf die Barrikaden. Unter anderen Umständen und zu einer anderen Zeit wäre aus ihr eine gute Untergrundkämpferin oder Revolutionärin geworden. Mut und ein Sinn für Romantik sind die Triebfedern von Revolutionen, und Lena hatte beides vorzuweisen.
    Der Plan war folgender: Die pflichtbewussten Nationalisten würden nachts zu dieser Arbeiterklassenstraße marschieren und sämtliche Straßenschilder mit dem Schriftzug »Stepan-Bandera-Straße« übermalen. So

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