Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
Vom Netzwerk:
Bandwürmer!«
    »Bandwürmer?«
    »Aber ja! In der Leber.«
    »In der Leber? Das gibt’s?«
    »Sie haben Glück, dass sie nicht im Herzen sind.«
    »Die können auch im Herz drinnen sein?«
    »Aber ja, sogar im Gehirn.«
    »Ach du lieber Gott!«
    Theoretisch belog Olha Iwaniwna ihre Patienten gar nicht, weil tatsächlich jeder Mensch Bandwürmer hat, wie Ihnen jeder Parasitologe bestätigen wird. Allerdings ahnen die meisten nichts von den stillen anaeroben Lebewesen im Inneren ihres Körpers. Deshalb tat Olha Iwaniwna eigentlich Gutes. Die Patienten machten Bandwurmkuren und dachten, danach wären sie gesund. Manche gesundeten tatsächlich – alles nur eine Frage der Einstellung. Die ganze chinesische Medizin funktioniert nach einem ähnlichen Prinzip. Man muss den Menschen heilen, nicht die Krankheit. Man braucht einem Menschen ohne Beine nur einzureden, er hätte welche, und schon wird er losrennen.
    Bei Olha Iwaniwna standen die Patienten immer Schlange. Während des Anstellens unterhielten sie sich:
    »Wo hat man bei dir Bandwürmer gefunden?«
    »In den Nieren, und bei dir?«
    »In der Lunge. Kannst du dir das vorstellen? Ich hab mir schon so was gedacht. Immer wenn ich tief eingeatmet habe, hat es so komisch gequietscht. Das waren die Bandwürmer! Furchtbar!«
    Dank Olha Iwaniwna brach in der Stadt eine richtige Bandwurmhysterie aus. Die Leute belagerten das einzige staatliche Labor, das Bandwurmtests durchführte, und die Laboranten konnten sich vor Erschöpfung kaum noch auf den Beinen halten. Sie riefen den Damen, die in ihren Zündholzschachteln kiloweise Stuhlproben zur Untersuchung anschleppten, zu:
    »Bitte, Sie haben keine Bandwürmer! Wann gebt ihr endlich Ruhe?!«
    »Das behaupten Sie, der Computer sagt was ganz anderes. Der Computer sieht alles. Machen Sie einfach die Tests! Der Staat bezahlt Sie dafür!«
    Die Befunde ergaben jedes Mal, dass keinerlei Bandwürmer ihr Unwesen trieben, und die Damen ereiferten sich:
    »Unverschämt ist das! Die können nicht einmal einen ehrlichen Test machen! Die wollen uns doch nur abservieren!«
    Die Apotheken reagierten indessen blitzschnell auf die Nachfrage, und schon bald konnte man in ihren Auslagen hochwirksame Präparate »aus Deutschland« bestaunen – man brauchte nur eine einzige Tablette, um alles Leben in sich abzutöten.
    In der Stadt wurden Hunderte weitere Ordinationen mit computergestützter Diagnostik eröffnet, denn wer erfolgreich ist, findet bald Nachahmer. In jeder Straße schossen sie aus dem Boden, es gab bald mehr von ihnen als Zahnarztpraxen. Olha Iwaniwna hingegen suchte sich ein neues Betätigungsfeld. Sie war eine wirklich außergewöhnliche Frau. Sie wusste, wann der richtige Zeitpunkt war, um seinen Gewinn zu nehmen und das Casino zu verlassen.
    Über Nacht wurde »computergestützte Diagnostik« verboten und viele Betreiber der einschlägigen Ordinationen wurden als Betrüger eingesperrt. Allerdings nicht Olha Iwaniwna. Als unangreifbare Hochstaplerin beschreitet sie bis heute neue Wege der ukrainischen Medizin.
    Ich muss etwas Ähnliches machen, sagte Lena. Es sollte harmlos, aber lukrativ sein. Etwas, worauf alle gewartet haben und wofür sie auch bezahlen würden. Die Menschen sind bereit, für Glück oder Reichtum alles zu geben. So ist es immer gewesen und so wird es immer bleiben.
    »Warum willst du nicht Sport unterrichten?«, fragte Wassylyna. Sie unterstützte Lenas Ambitionen nicht, ein großer Mensch in einer kleinen Welt zu werden. »Sportlehrerin ist ein ehrenwerter Beruf. Du könntest die junge Generation für Sport begeistern, eine gesunde Nation heranziehen…«
    »Du verstehst das nicht. Das ist nichts für mich. Es war überhaupt ein Fehler, Sport zu studieren. Ich hätte zumindest Ökologie machen sollen. Ich bin als Sportlehrerin wirklich komplett ungeeignet. Ich wollte immer schon anderen Menschen helfen.«
    »Helfen? Du willst sie eher betrügen!«
    »Genau, betrügen, um zu helfen. Das ist mein Ziel!«
    Lena beschloss, für öffentliche Aufmerksamkeit zu sorgen. Eine groß angelegte Werbekampagne konnte sie sich natürlich nicht leisten, deshalb entschied sie sich für die kostenlose Variante und gab eine Anzeige in der Stadtzeitung auf.
    Eventuell klang sie ein klein wenig unglaubwürdig, dafür war sie vielversprechend. Potenzielle Kunden wollen neugierig gemacht werden, resümierte Lena später. Alle großen Menschen haben mal klein angefangen, aber ich werde gleich groß anfangen:
    »Wunder auf

Weitere Kostenlose Bücher