Biografie eines zufälligen Wunders - Roman
Bestellung. Günstig. Bezahlung nach erbrachter Leistung. Bitte keine Anfragen bezüglich Schädigung anderer Personen. Tel.: 8067 66 16 921. Lena«
»Glaubst du wenigstens selbst an Wunder?«, erkundigte sich Wassylyna und lachte schallend.
»Aber sicher doch!«, log Lena. »Alles, was geschieht, ohne dass wir wissen, wie es geschehen ist, ist ein Wunder!«
»Ich habe bis jetzt nur Reinfälle erlebt, und ich verstehe auch nicht, wie es dazu kommen konnte. Heißt das, es waren in Wirklichkeit Wunder?«
»So kann man es auch nennen. Aber du musst das große Ganze betrachten, Wassylyna. Alles, was in unserem Land geschieht, ist ein einziges riesiges Wunder. Niemand versteht irgendwas.«
»Mit deinem Mundwerk solltest du zum Radio.«
»Die wollten mich nicht haben. Meine Stimme war denen zu piepsig.«
Wie ihr Business genau funktionieren sollte, wusste Lena noch nicht, aber sie hoffte, dass es irgendwie klappen würde. Das Wichtigste war, die Kunden neugierig zu machen, um ihnen dann Geld aus der Tasche zu ziehen.
»Ich brauchte nicht viel«, schrieb Lena in ihrem Tagebuch im Kapitel »Wie man ehrlich Business macht«. »Ich hatte beschlossen, zehn Hrywnja pro Dienstleistung zu verlangen. Damit ihr’s wisst: Das ist der Betrag, den man braucht, um einen Tag lang bescheiden zu essen. Das bedeutet: ein Wunder pro Tag und schon hätte ich zu essen. Mein Plan war einfach, und was einfach ist, das funktioniert auch. Hauptsache, der erste Kunde beißt an, ab da läuft dann alles wie geschmiert.«
Doch der Kunde wollte nicht anbeißen.
Eine Woche später gab Lena wieder eine Anzeige auf, nach zwei Wochen erneut und nach drei Wochen noch eine. Aber niemand fühlte sich von den angekündigten Wundern angezogen. Die Leute glauben an gar nichts mehr, klagte Lena.
Die 200-Kilo-Stimme von Lenas Gewissen – Wassylyna – ließ nicht locker:
»Warum kannst du dein Geld nicht wie jeder normale Mensch verdienen, also mit Arbeit?«
»Sind Wunder für dich keine Arbeit?! Das ist ein wahrer Knochenjob, das sag ich dir!«
»Wunder sind was für Heilige, Engel, Erzengel … Warum mischst du dich da ein?«
Es war leicht für Wassylyna, so daherzureden, sie hatte ja eine Begabung. Sie durfte an der Universität bleiben und Diskuswerfen unterrichten. Der unterschriebene Vertrag lag in der Schublade.
Lena sagte:
»Es muss auch solche wie mich geben, Wassi. Ich bin zwar keine Heilige und kein Engel, aber kleinere Wunder vollbringe ich schon, das kannst du mir glauben. Es will im Moment nur keiner eines bestellen. Und gratis mach ich’s sicher nicht, ich bin ja nicht blöd!«
Genau in diesem Augenblick klingelte endlich das Telefon. Lena begriff im ersten Moment nicht, dass sich ihr neues Handy meldete, das sie extra gekauft hatte, um Wunderanfragen zu beantworten.
Das Läuten wollte nicht aufhören. Lena warf das Handy von einer Hand in die andere wie eine heiße Kartoffel.
»Na, traust du dich nicht? Geh dran!«
»Und wenn das die Polizei ist?«
»Die haben Wichtigeres zu tun. Was glaubst du, wie viele Massenmörder in der Stadt herumlaufen?«
»Und wenn das ein Massenmörder ist?«
»Übers Telefon wird er dich nicht aufschlitzen.«
Lena hielt ihr Handy ans Ohr und flüsterte kaum hörbar: »Hallo?«
Am anderen Ende der Leitung wurde geschwiegen. Dann geschnauft. Und schließlich sagte eine männliche Stimme:
»Guten Tag, ich rufe wegen der Anzeige an.«
»Ja, da sind Sie richtig«, antwortete Lena schon etwas energischer. Sie hatte gehofft, dass sich als Erstes eine Frau melden würde. Frauen sollten eigentlich schneller anbeißen.
Die Männerstimme fuhr fort:
»Was machen Sie konkret?«
»Steht alles in der Anzeige. Wunder.«
»Ist das irgendeine Sekte?«
»Nein, das bin nur ich selbst.«
»Verstehe …«
Der Mann schwieg. Lena legte los, als würde sie Milch auf dem Markt verkaufen:
»Ich verlange nicht viel. Sie werden keinen finden, der’s billiger macht. Ein Wunder kostet zehn Hrywnja.«
»Und was genau können Sie?«
»Alles.«
»Können Sie fliegen?«
»Fliegen?« Lena schwankte, disponierte kurz um: »Um zu fliegen, braucht man einen Brustkorb mit sechs Kubikmeter Volumen.«
»Ich habe letztens eines gesehen.«
»Was gesehen?«
»Ein Wunder.«
»Und was genau?«
Der Mann platzte heraus:
»Ich will hundert Hrywnja.«
»Bitte was?!«
»Für einen Hunderter erzähle ich’s Ihnen.«
»Soll das ein Witz sein?« Lena bebte vor Wut. »Ich bin hier diejenige, die Wunder verkauft, nicht
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