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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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aber das kostet zu viel, also hab ich abgelehnt. Ich kann mein Becken spüren, kann ohne fremde Hilfe sitzen, aber alles darunter ist taub. So lebe ich – wie ein halber Mensch.«
    »Und was ist mit Ihrem Mann?«
    »Der bereut das alles sehr. Er ist wieder in seine Kirche eingetreten. Er meint, er kann nicht ohne Gott.«
    Nach dem Interview brachte der Journalist die Statistik, die alle in der Ukraine kennen – alle bis auf die Gewalttäter und ihre Opfer. Neu daran war nur die kleine Zusatzinformation, dass jedes Jahr 1000 Ukrainerinnen durch die Hand ihrer Ehemänner sterben. Außerdem verwies der Journalist auf die Anzahl von Schulabbrechern. Offenbar führte er die Fälle von extremer Gewalt hauptsächlich auf den niedrigen Bildungsstand in der Bevölkerung zurück. Im letzten Punkt seines Artikels befasste er sich mit dem Problem der Behinderungen. In der Ukraine leben zweieinhalb Millionen körperlich Behinderte. Drei Fliegen auf einen Schlag.

    »Ich hab mir früher oft gewünscht, dass wir einmal zusammenwohnen«, sagte Hund zu Lena, »so wie richtige Schwestern.«
    »Ja«, antwortete Lena, »aber es ist ziemlich unpraktisch, keine Beine zu haben.«
    Hund richtete sich in einem alten Sessel ein, den die Vormieter zurückgelassen hatten. Manchmal las sie Bücher, aber meistens schaute sie einfach beim offenen Fenster hinaus. Sie hatte einen Blick auf die ruhige, menschenleere Majakowskij-Gasse, auf ein altes, noch von den Österreichern gebautes Haus, welches jetzt die städtische Zahnklinik Nr. 5 beherbergte, und auf die Menschen, die hineingingen und dazu verdammt waren, minderwertigen Zahnersatz vom Staat zu erhalten.
    Wenn ich sie sehe, sagte Hund, bekomme ich selbst Zahnschmerzen. Sogar in meinen Dritten.
    Von außen betrachtet, hatte ihr Zusammenleben mit Lena nichts verändert. Hund aß wenig, schlief wenig und bat Lena dreimal am Tag, ihr aufs Klo zu helfen. Morgens und abends war das kein Problem, doch am Nachmittag musste Lena ihren Chef jedes Mal um Erlaubnis fragen.
    »Wir haben das langfristige Ziel, dich zu heilen, damit du wieder gehen kannst. Aber bis es so weit ist, müssen wir dir einen Rollstuhl besorgen. Ich kann dich nicht mehr schleppen. Wenn du einen Rollstuhl hast, bist du unabhängiger. Du kannst selbstständig rausgehen … ähm … rausrollen. Und aufs Klo wirst du auch selber … gehen können. Du musst nur deine Arme ein bisschen trainieren.« Lenas pragmatische Worte.
    Nach Klärung der richtigen Vorgangsweise ging Lena zur Sozialfürsorge – eine Pilgerstätte für Menschen mit eingeschränkten Möglichkeiten. Drei Stunden lang wartete sie auf ihre Audienz. Im Flur warteten noch Dutzende andere Menschen: Blinde, Taube, Menschen ohne Arme, Menschen ohne Beine, Gelähmte, Menschen mit Downsyndrom, Spastiker, Männer und Frauen, Kinder und Erwachsene. So viele Behinderte hatte Lena noch nie auf einem Fleck gesehen. In der Regel saßen sie wie vertriebene Ungeheuer in ihren Wohnungen und wagten sich nur im äußersten Notfall ans Tageslicht, damit durch ihre Anwesenheit niemand gestört würde und das unbewusste vollwertige Glück der vollwertigen Menschen unangetastet bliebe.
    Die Behinderten beäugten Lena misstrauisch, beinahe feindselig. Vielleicht dachten sie, Lena hätte eine Invaliditätsbestätigung gekauft, um sich Zugang zu den zahlreichen Vergünstigungen zu verschaffen.
    »Entschuldigen Sie, dass ich gesund bin«, sagte Lena schließlich. Die Behinderten schwiegen sie weiterhin misstrauisch an. Vermutlich wollten sie ihr die Gesundheit nicht verzeihen. Lena konnte sie verstehen.
    Als Lena endlich das Büro betrat, waren es nur mehr wenige Minuten bis zur vorschriftsmäßigen Mittagspause. Die Frau hinter dem Schreibtisch rutschte in ihrer Vorfreude auf das von zu Hause mitgebrachte Kotelett ganz unruhig auf dem Sessel hin und her.
    »Was brauchen Sie?«, fragte sie Lena.
    »Guten Tag. Ich heiße Lena. Ich wohne mit einer Freundin zusammen, die nicht gehen kann. Sie braucht einen Rollstuhl.«
    »Ihre Papiere.«
    Lena hielt bereitwillig ihren Reisepass hin. Ohne Pass, sagte sie später, sei man in diesem Labyrinth der Rechtsstaatlichkeit ein Niemand.
    »Nicht Ihre Papiere. Die von der Behinderten«, sagte die Frau hinter dem Schreibtisch.
    Lena holte Hunds Pass aus der anderen Tasche und freute sich insgeheim, dass sie daran gedacht hatte, ihn mitzunehmen. Aber auch dieses Dokument stellte die Frau nicht zufrieden.
    »Jetzt stellen Sie sich nicht so dumm! Die

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