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Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Biografie eines zufälligen Wunders - Roman

Titel: Biografie eines zufälligen Wunders - Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Residenz
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Boulevard-Artikeln verdiente. Er schrieb gelegentlich rührselige Reportagen für die Stadtzeitung. Die Leser mochten so etwas. Er war ein Zyniker und ein Trinker. In seinen Beiträgen machte er sich auf eine Art über seine Interviewpartner lustig, die weder diese noch die Leser durchschauten. Sein Stil, den man beschreiben könnte mit: »Ich-kann-nichts-dafür-dass-ich-von-Kleingeistern-und-Idioten-umgeben-bin«, wird nach wie vor gerne gelesen.
    »Sie haben mit fünfzehn geheiratet, ohne einen Schulabschluss, stimmt das?«, fragte der Journalist.
    »Das stimmt«, erwiderte Hund.
    »Ihr Mann war ein religiöser Eiferer und hat Sie misshandelt, trifft das zu?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Sie durften nicht essen, er hat nicht mit Ihnen gesprochen und Sie mussten die ganze Nacht lang eine alte Tür über dem Kopf halten …«
    »Genau.«
    »Durch die nervliche Belastung kam es zu einer Blutung und Sie waren drei Monate im Krankenhaus, richtig?«
    »Ja, das stimmt.«
    »Und dann sind Sie zu ihm zurück?«
    An dieser Stelle verlor Hund die Beherrschung:
    »Sie verstehen das nicht, er hat mir den Himmel auf Erden versprochen!«
    »Und wie hat dieser Himmel ausgesehen?«
    »Er hat mir Blumen mitgebracht«, sagte Hund unter Tränen, »eine Torte gekauft. Er hat gesagt, dass er mich liebt und wir zusammen neu anfangen werden. Ich hatte keine andere Wahl. Ich habe ihn vermutlich auch geliebt. Mein Mann ist aus der Kirche ausgetreten, ja, wirklich, ist er. Ich durfte wieder fernsehen. Zuerst war alles gut. Ich hab Arbeit im Geschäft gefunden, Reinigungsmittel verkauft. Ich wollte ja nicht viel, nur eine Familie haben, Kinder, und bis zum Tod so leben, wie es sich gehört. Wir hatten einen kleinen Garten, den ich mit Tulpen bepflanzt hab. Die haben im Frühling so schön geblüht, das hätten Sie sehen sollen! Das war eine Pracht! Leute sind eigens aus der Stadt gekommen, um sich davor fotografieren zu lassen! Zu den Maifeiertagen hab ich die Tulpen auf den Markt gebracht, und alle sind restlos weggegangen. Ich habe dreihundert Hrywnja verdient. Ich wollte dann weiter was mit den Blumen machen. Das war wirklich ein gutes Geschäft, ich habe mir das alles ausgerechnet. Man investiert zum Beispiel hundert Hrywnja und verdient dreihundert. Mehr als doppelter Gewinn. Stellen Sie sich vor, was für ein gutes Geschäft das ist. Hauptsache, die Blumen wachsen schön. Und bei mir wären sie gewachsen, ich hab einen grünen Daumen. Meinen Mann haben sie aber aus irgendeinem Grund gestört. Er hat nicht gewollt, dass ich etwas mit Blumen mache. Hat sich aufgeregt, herumgeschrien. Jeden Tag hat er mich angeschrien. Na ja, und dann …«
    »Dann hat er angefangen, Sie zu schlagen?«
    »Früher hat er mich nie geschlagen, aber dann … Zuerst hat er mich nur ein bisschen geschlagen, so eher zum Spaß, aber mit der Zeit immer mehr. Die Blumen haben ihn wahnsinnig aufgebracht. Er hat mich windelweich gedroschen. Die Nieren hat er mir kaputt geschlagen, eine hab ich verloren. Zwei Zähne hat er mir ausgeschlagen, da vorne. Ich hab mir Ersatz machen lassen, merkt man gar nicht, dass die nicht echt sind, oder?«
    »Stimmt«, sagte der Journalist und stellte in seinem Zeitungsartikel neben dieses Zitat ein Foto, auf dem Hund breit grinste.
    »Warum haben Sie ihn nicht verlassen?«
    »Ich hätte ja nicht gewusst, wohin. Mich hat so ein Mädel besucht. Die hat fürs Ausland einen Film über häusliche Gewalt gedreht. Hat mir erzählt, dass Gewalt in der Familie ein großes Problem in der Ukraine ist. Sie hat gemeint, ich soll ihn verlassen, weil er mich früher oder später umbringen wird. Das steht in allen Psychologiebüchern drinnen. Dann hat sie mir eine Adresse aufgeschrieben von einem Heim für Frauen wie mich. Dort hätte ich mich fürs Erste verstecken können. Ich hab versprochen, da hinzugehen, hab gesagt, ich werde ihn verlassen. Wie dann mein Mann von der Journalistin erfahren hat, hat er mich so verdroschen, dass ich drei Tage lang ohnmächtig im Vorzimmer gelegen bin. Nicht einmal zum Sterben hat er mich ins Bett gelegt. Ich verstehe nicht, wie ein Mensch so sein kann? Wie kann man jemanden so quälen? Ich bin also im Flur gelegen und da stelle ich mir vor, dass ich Kung-Fu kann. Ich kämpfe gut, genauso gut wie die Männer, wenn nicht sogar besser. Weil Männer in Wirklichkeit nicht einmal richtig kämpfen können. Sie fuchteln nur mit den Fäusten herum. Sie glauben, dass Frauen nicht zurückschlagen. Aber ich würde so richtig

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