Birnbaeume bluehen weiß
meinen Kopf. Sein warmer Atem vermischt sich mit meinem kurzen Atem. Ich will schlafen, ganz lange schlafen, aber sosehr ich es auch versuche, es geht nicht. Ich werde Daan nie mehr sehen können. Ich werde nie mehr jemanden oder etwas sehen können. Ist das nicht so ähnlich wie tot sein? Muss ich mich ab jetzt auf eine Stimme verlassen? Oder auf einen Geruch? Kann man sich in die Art und Weise verlieben, wie jemand spricht oder wie jemand riecht? Ich zähle die gestutzten Weiden und lege die Hand auf Daans Brust. Sein Herz klopft ruhig. Ich werde morgen in die Stadt gehen und eine Sonnenbrille kaufen. Mit Klaas, der hat einen sicheren Blick für solche Dinge.
Jan und Anna fahren nach Hause. Klaas und Kees haben Ferien. Ab jetzt habe ich sie am Hals. Ab jetzt haben sie mich am Hals.
»Bist du sicher, dass wir nicht noch zwei Tage bleiben sollen?«, fragt Anna.
»Ja, ganz sicher«, sage ich. »Ich kriege die Zeit schon rum.«
»Wir rufen auf jeden Fall an«, sagt Jan.
»Ja«, sagt Anna. »Und später kommt ihr uns besuchen.«
»Im August«, sagt Jan. »Dann könnt ihr schön im See schwimmen.«
»Wer ist ihr?«, frage ich.
»Du und Klaas und Kees.«
»Und Daan?«
»Daan kann auch mitkommen.«
Ich begleite sie zur Tür. Ich küsse Anna und Jan. Ich weiß nicht mehr, was ich sagen soll, und renne die Treppe rauf. Ich vergesse, dass ich die Treppe nicht mehr raufrennen kann, und falle nach etwa fünf Stufen hin. Niemand sieht es, weil niemand was sagt und niemand hinter mir herkommt. Ich rapple mich wieder auf und steige ruhig nach oben. Ich finde die Türklinke, gehe in mein Zimmer und lege mich aufs Bett. Durchs offene Fenster dringen Abschiedsgeräusche. Leises Reden, schlagende Autotüren. Nach einer Weile kann ich das Auto nicht mehr hören. Die Haustür fällt ins Schloss. »Gerson!« Kees. Ich sage nichts. Ich sehe nichts. Klaas und Kees gehen durchs Haus. Daan sitzt vor meiner Tür, ich höre ihn hecheln. In meiner Brust krampft es. Mit den Fingerspitzen taste ich die Haut unter meinen Augen ab. Meine Tränendrüsen sind kaputt, da kommt nichts raus.
Morgen ist Dienstag, der 27. Juli. Der Tag danach ist ein Mittwoch. Mittwoch, der 28. Juli. Mein Geburtstag. Übermorgen werde ich vierzehn Jahre alt.
Geburtstag
Am Mittwoch, dem 28. Juli, wurde Gerson vierzehn. Woher sollten wir wissen, dass er danach nie wieder Geburtstag haben würde? Wenn wir es gewusst hätten, hätten wir vielleicht mehr daraus gemacht. Nein, das ist Unsinn, wir wussten ja nun mal nichts. Man weiß nie vorher, was in der Zukunft passieren wird, und das ist auch gut so. Wir versuchten später, uns wieder genau daran zu erinnern, wie dieser Dienstag ablief. Genau wie wir uns kurz nach dem Unfall an alles erinnern wollten, was während der Autofahrt gesagt wurde.
Als wir aufstanden, regnete es. Es war kein Sommerregenschauer, keine dicken Tropfen, die, wenn es anfängt zu regnen, Staubwolken aufwirbeln lassen. Es war trübe, es nieselte, ein Nieselnebel aus feinen Tröpfchen bedeckte alles. Anna und Jan waren weg, und wir mussten selbst den Tisch decken. Vier Teller, vier Messer, vier Tassen. Gerard hatte einen Tag frei genommen. Er schlief aus. Gerson schlief auch aus, aber das hatte er in den vergangenen Wochen immer gemacht. Wir pressten zwölf Apfelsinen aus und versuchten, Croissants zu backen, die zusammengelegt als Bausatz aus der Packung kamen. Es misslang, wir hatten den Herd zu hoch eingestellt, und außerdem kriegten wir sie nicht krumm. Wenn Croissants nicht krumm sind, sind es keine Croissants. Wir fütterten Daan, und als er seinen Napf leer gefressen hatte, ließen wir ihn in den Garten. Obwohl es noch früh war, ging Klaas zum Briefkasten. Er kam mit der Zeitung zurück. Sein Haarwar feucht. Die Zeitung klemmte halb unter Gerards Teller. Wir legten unser Geschenk auf den Tisch. Daan sprang gegen die Hintertür. Wir ließen ihn rein. Wir setzten uns vor das große Wohnzimmerfenster und warteten. Die Welt draußen war neblig und klein. Die Bäume auf dem Friedhof tropften. Als Gerson nach unten kam, waren drei Autos vorbeigekommen. Der Briefträger ließ noch auf sich warten.
»Ist die Post schon da gewesen?« Das war das Erste, was Gerson fragte, als er ins Zimmer kam.
»Nein«, sagte Kees. »Herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag!«
»Oh, ja«, sagte Gerson. Er hatte sein Sweatshirt verkehrt herum angezogen. Der Text ( GERSON TOLGAARDER SCHON ZWÖLF JAHRE AUF DIESER WELT , unser Geburtstagsgeschenk von vor
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