Birnbaeume bluehen weiß
Bett und stand spät auf. Wenn das Wetter schön war, lag er nachmittags ausgestreckt mit Daan auf dem Bauch in einem Liegestuhl im Garten und schlief noch mehr.
»Er redet über seine Milz, um seine Augen zu vergessen«, sagte Gerard. »Er schläft, um seine Augen zu vergessen.«
Gerson war, genau wie Gerard, ein Schläfer geworden. Wenn man schläft, ist man eine Weile nicht da, und alles geht an einem vorbei.
Es gab etwas, worüber Gerson nicht sprach, und darüber wunderten wir uns. Den Unfall. Wir wussten, dass wir ihn nicht zwingen konnten. Er durchschaute immer alles, und wir haben ja schon gesagt, dass er halsstarrig und grantig wurde, wenn wir ihm einen Gefallen tun wollten. Gerson ließ sich nicht zwingen. Wenn er fände, dass es an der Zeit sei, zu reden, würde er reden. Nur dann, und nicht eher. Also blieben wir ruhig (wir hatten nämlich auch eine Geschichte zu erzählen, wir hatten auch in dem kleinen Auto gesessen, als der Mann in uns reinfuhr) und warteten ab. Erst nachdem der Gips von seinem Arm entfernt worden war, hatte er nichts mehr, wohinter er sich verstecken konnte.
»Warum küsst ihr mich nie mehr?« So fing es an.
»Möchtest du, dass wir dich küssen?«, fragte Kees.
»Nein, lieber nicht, nein.« Er sagte es leise, nicht bitter oder bösartig. Er baute keine Mauer um sich herum. »Ich lag und lag und lag da und konnte überhaupt nichts tun, und ich dachte, dass ihr mich geküsst habt.«
»Das haben wir auch«, sagte Klaas. »Harald hat gesagt … Wir wollten, dass du wieder aufwachst.«
»Was hat Harald gesagt?«
»Wir haben es uns nicht selbst ausgedacht«, sagte Kees. »Ja, schon, wir haben es uns selbst ausgedacht, aber Harald hat gesagt, dass wir mit dir reden und dich anfassen sollen. Dann würdest du schneller wach werden.«
»Und da habt ihr mich eben geküsst.«
»Ich habe dich geküsst«, sagte Kees, ein wenig verlegen. »Ich saß an der Seite von deinem Gipsarm, da gab es nichts zu streicheln.«
»Hast du das denn gemerkt?«, fragte Klaas.
»Ja, ich glaube schon. Ich wollte euch die ganze Zeit was sagen, aber ich konnte nicht. Und eines Tages fühlte sich mein Hals rau an, und danach wurde ich richtig wach.«
»Du hast geschrien«, sagte Klaas.
»Was habe ich gesagt?«
»Birnbäume blühen weiß.«
Das verschlug ihm kurz die Sprache. Wir saßen zu dritt hinterm Haus im Garten. Es war ein warmer Abend, irgendwann Ende Juni. Es roch herrlich, und wir hatten Zuschauer, Pferde und Schafe. Die Schafe und Lämmer lagen träge und langsam wiederkäuend da, die Pferdestanden mit hängenden Köpfen bewegungslos am Graben. Aus dem Dorf drangen Geräusche. Jemand hämmerte. Im Nachbargarten hörten wir die Hühner herumscharren.
»Warum habe ich das gesagt?«
»Weißt du noch, dass wir an diesem Sonntagmorgen unterwegs waren zu Anna und Jan?«
»Ich glaub schon.«
»Wir sind einen Umweg gefahren, weil du und Gerard an den Obstbäumen vorbeifahren wolltet.«
»Warum?«
»Weil ihr beide blühende Birnbäume so schön findet«, sagte Kees.
»Wir waren uns nicht einig über die Farbe von Birnenblüten«, sagte Klaas. »Du meintest, dass sie weiß blühen, und wir dachten, sie sind rosa.«
»Haben wir darum den Unfall gebaut?«, fragte Gerson. »Nein, natürlich nicht.«
»Es spukte mir ständig durch den Kopf, ich kriegte es einfach nicht raus. Aber ich konnte nicht reden, ich konnte es nicht loswerden. Ich dachte, dass es dazugehörte, zum Koma.«
»Und also auch zum Unfall. Nein.«
Es war wieder kurz still. Wir warteten ab.
»Sind wir gegen einen Baum gefahren?«
»Nein. Es war ein anderes Auto.«
»Ich hatte mir den Arm gebrochen«, sagte Kees.
»Dann hast du auch einen gebrochenen Arm?«
»Nein, jetzt nicht mehr.«
»Das wusste ich gar nicht.«
»Das macht nichts«, sagte Kees. »Es war nicht so schlimm.«
»Und du und Gerard, was war mit euch?«
»Ich hatte nur einen steifen Nacken«, sagte Klaas. »Gerard hat viel Glas ins Gesicht bekommen. Er ist über zwanzigmal genäht worden.«
»Und die Leute in dem anderen Auto?«
»Es war ein Mann. Ihm ist nichts passiert.«
»Was für ein Mann?«
»Na ja, eben ein Mann.«
»Hat er nichts gesagt?«
»Nein, daran kann ich mich nicht erinnern. Er hatte ein Handy, er hat dafür gesorgt, dass der Krankenwagen kam.«
»Der Krankenwagen?«
»Ja.« Klaas zögerte einen Moment. »Gerard und Kees …«
»Wo war Daan? War Daan auch dabei?«
»Der rannte ums Auto herum. Der Mann hat Gerard später erzählt, dass
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