Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
von Danny und ihrer Mutter; ihr Vater war mit Alex im Spielzimmer – alle paar Minuten hörte sie Alex einen Quietscher ausstoßen oder in seinem Zweijährigen-Singsang irgendwelchen Unsinn daherrufen. Es war zwanzig vor neun. Fast drei Stunden schon, sagte sie zu dem Mann in ihrem Kopf, und noch immer keine Spur von ihm. Und das ist typisch für Wayne. Hier wartet ein ganzes Wohnzimmer voller Geschenke. Kein Mensch verlangt irgendetwas von ihm, außer dass er kommt und mit uns am Tisch sitzt. Und er denkt, er hat noch nicht genug gemacht, und verdirbt uns das Abendessen. Typischer geht’s kaum.
Ihre Mutter las Danny vor; sie war ebenfalls Lehrerin, und Jenny konnte das sorgfältige Auf und Ab ihres Tonfalls hören, die kleinen Betonungen, mit denen sie der Geschichte Dramatik verlieh. Ihre Mutter hatte sich heute Abend selbst übertroffen. Sie war eine Meisterin im Wahren des Scheins, und heute hatte ihnen diese Gabe weiß Gott gute Dienste geleistet. Jennys Vater war aufgebraust, als Jenny verkündet hatte, dass Wayne sich verspäten würde – Jennifer, ich schwör’s dir, der Mann macht das mit voller Absicht -, aber ihre Mutter hatte sich an ihrem Stock hochgezogen und war zu ihrem Vater hin übergegangen und hatte ihm die Hand auf die Schulter gelegt und gesagt: Er meint es nett, Schatz, er kauft Geschenke. Er gibt sich solche Mühe – auf seine Art eben.
Danny hatte nach seinem Vater gefragt, wie auch nicht, und sie hatte ihm gesagt: Daddy kommt ein bisschen später, und er hatte gemault, und Alex hatte gleich eingestimmt, aber ihre Mutter hatte sie beide zur Couch herübergerufen und sie das Fernsehprogramm aussuchen lassen, so dass sie abgelenkt waren. Kurz bevor das Essen aufgetragen wurde, humpelte ihre Mutter in die Küche hinüber, und Jenny gab ihr einen Kuss auf die Stirn. Danke, sagte sie.
Einen sonderbaren Mann hast du, sagte ihre Mutter.
Wem sagst du das.
Aber einen lieben. Einen ganz lieben.
Ihre Mutter rührte die Soße um, ein entschlossenes Lächeln auf dem Gesicht.
Sie hatten langsam gegessen, immer wieder mit Blick zur Uhr – Jenny wartete lange, bevor sie die Nachspeise holte, und um acht gab sie auf und räumte den Tisch ab. Sie stellte einen Teller mit Truthahn und Kartoffeln – Wayne mochte nichts anderes – zum Wärmen in den Ofen.
Jenny schrubbte das Geschirr – noch dasselbe Service, das sie damals zur Hochzeit bekommen hatten, einschließlich der gekitteten Teller, die an ihrem ersten Hochzeitstag zu Bruch gegangen waren. Wohl zum hundertsten Mal überlegte sie, wie ihr Leben wohl wäre, wenn sie jetzt in Larrys Küche stünde statt in der von Wayne.
Larry und Emily hatten letztes Frühjahr ein neues Haus am anderen Ende des Countys gekauft, zur Feier von Larrys Wahl zum Sheriff. Jenny hatte es selbstredend zusammen mit Wayne und den Jungen besichtigt, aber ein paar Mal war sie auch allein dortgewesen – Emily besuchte zweimal im Monat ihre Großmutter in einem Pflegeheim in Michigan und blieb über Nacht. Jenny war im Sommer dagewesen, während der Schulferien, wenn Wayne in der Arbeit war. Sie lud die Kinder bei ihren Eltern ab und parkte ihr Auto so, dass es von der Straße aus nicht zu sehen war. Es war ein hübsches Haus, groß und hell, mit schönen Panoramafenstern, zu denen die Abendsonne hereinschien, gefiltert durch das Laub zweier riesiger Ahornbäume im Vorgarten. Larry wollte nicht das Ehebett benutzen – nein, das wäre nicht recht, auch wenn ich sie nicht liebe -, also schliefen sie in dem schmalen, ächzenden Gästebett miteinander. Es war Larrys altes Bett aus Highschool-Tagen, was der Sache eine zusätzliche nostalgische Süße verlieh: Auf diesem Bett hatte Larry zum erstenmal ihre Brüste berührt, damals in grauer Vorzeit, als Jenny sechzehn war. Jetzt rührten sie und Larry sich den ganzen Nachmittag nicht aus dem Gästezimmer fort. Sie lachten und schwatzten; wenn Larry kam (mit einem bellenden Laut, den sie drollig gefunden hätte, wenn er sie nicht so erregt hätte), war es, als spränge ihm ein Korken aus der Kehle, und er erzählte ihr stundenlang von den traurigen Geschicken der Bürger von Kinslow. Und immerzu liebkoste er sie dabei mit seinen großen Händen.
Ich hätte schon in der Highschool mit dir schlafen sollen, sagte sie ihm an einem dieser Nachmittage. Dann hätte ich mich nie mit irgendwem anderen eingelassen.
Was hab ich dir gesagt?
Sie lachte. Aber manchmal lachte sie nur, um nicht weinen zu müssen – nicht vor Larry,
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