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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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Ohrringe mit Rubinimitaten in einer Muschel aus Keramik. Er roch an den Parfums neben ihrem Frisiertisch, fand eines, das er mochte, an das er sich erinnerte, und sprühte es auf die Kleider, großzügig – mit der Zeit würde es sich verlieren, und wenn es jetzt auch zu stark war, in zehn Jahren passte es.
    Er packte alles in den Plastiksack aus der Küche.
    Dann saß er für ein paar lange Minuten auf dem Bett, am Fußende, die Augen geschlossen. Er hörte seine eigenen Atemzüge. In seinen Augen stach es. Er starrte auf seine Handrücken, biss die Zähne zusammen. Er dachte an den Ton in Waynes Stimme, als er ihn angerufen hatte. Du wirst staunen, wie sexy sie aussieht, Larry.
    Immerhin war ihm jetzt nach anderem zumute als Weinen.
    Als er sich wieder im Griff hatte, durchsuchte er die Schreibtische im Schlafzimmer und die Schubladen beider Nachttische. Er sah auf die Uhr: erst acht.
    Er ging über den Flur ins Nähzimmer und setzte sich an Jennys Nähtisch. Es roch nach Kodiak hier drin – ein Geruch nach altem Hund, vermischt mit dem Geruch der Ohrentropfen, die Kodiak immer gebraucht hatte. Die Wände hingen voller Bilder von den Kindern und Jennys Eltern. Auch Waynes Gesicht, Brille auf der Nase, lugte aus einigen hervor – nicht allzu vielen, wenn man es genau nahm.
    Larry kramte in einer Schublade unter dem Tisch. Dann öffnete er Jennys Nähkorb.
    Er hatte nicht gewusst, wonach er suchte, aber im Nähkorb fand er es. In einem gepolsterten Seidenschächtelchen mit Ersatzknöpfen, an die Innenseite des Deckels geheftet. Der grüne Prägedruck: er erkannte es sofort, es stammte von dem Briefblock in dem Motel in Westover, in dem er und Jenny manchmal miteinander gewesen waren. Er faltete das Blatt auf. Seine Hände zitterten, und er weinte jetzt – sie hatte es aufgehoben, sie hatte doch etwas aufgehoben.
    Vor einem Jahr war das gewesen, an einem Donnerstagnachmittag; Wayne war mit den Jungen zu seinen Eltern gefahren. Larry hatte sich mit Jenny im Motel getroffen, sobald sie in der Schule fertig war. Jenny wollte noch ein Stündchen oder zwei schlafen, nachdem sie sich geliebt hatten, aber Larry wurde zu Hause erwartet, und ohnehin war es klüger, wenn sie getrennt kamen und gingen, deshalb zog er sich leise an, während sie döste. Er sah lange auf sie herab, wie sie dort lag, und dann schrieb er ihr ein Briefchen. Er wusste noch, wie er gedacht hatte: Beweismaterial. Aber er konnte nicht anders. Manche Dinge mussten niedergeschrieben werden; unter manche Dinge musste man seinen Namen setzen, wenn sie irgendetwas bedeuten sollten.
    Also nahm Larry den Block mit dem Briefpapier und schrieb: Meine süße Jenny, und die Tränen stiegen ihm in die Augen dabei. Er setzte sich neben sie aufs Bett und beugte sich über sie und küsste ihr warmes Ohr. Sie rührte sich und murmelte etwas, ohne die Augen zu öffnen. Er schrieb sein Brieflein fertig und legte es neben ihre Hand.
    Eine Woche später fragte er sie: Hast du meinen Brief gefunden?
    Sie sagte: Nein. Aber dann küsste sie ihn und lächelte und hob ihre kleinen Hände an seine Wangen. Natürlich hab ich ihn gefunden, Dummerchen.
    Er hätte den Wortlaut des Briefchens auch so gewusst – er hatte ihn sich im Geist x-mal wiederholt -, aber jetzt faltete er das Blatt auseinander und las aufs Neue: Meine süße Jenny, ich tauge nicht besonders für solche Sachen, aber ich würde das hier nicht tun, wenn ich dich nicht lieben würde.
    Und dann las er weiter. Er ließ das Blatt auf den Tisch fallen und starrte es an, die Hand an den Mund gedrückt.
    Er hatte mit Dein Larry unterschrieben – aber sein Name war ausgestrichen. Und darüber stand, in zittrigen Blockbuchstaben: Wayne.

24. DEZEMBER 1975
     
    Wenn Jenny jemals irgendwem – einem Außenstehenden, dem mitfühlenden Fremden, Wanderpsychologe und Scheidungsrichter in einem, von dem sie sich manchmal vorstellte, er klopfe plötzlich an ihre Tür – hätte schildern müssen, wie es war, mit Wayne Sullivan verheiratet zu sein, dann hätte sie ihm vom heutigen Abend erzählt. Es ist sechs Uhr, hätte sie gesagt, meine Eltern sind da, um mit uns zu Abend zu essen, ich habe die Jungen schon fürs Weihnachtsphoto umgezogen, und Wayne ruft an und sagt, dass er erst in ein, zwei Stunden heimkommt. Weil er noch ein paar letzte Einkäufe machen muss.
    Jenny war beim Abspülen. Die Reste des Truthahns waren schon in Tupperschüsseln gefüllt und in den Kühlschrank geräumt. Aus dem Wohnzimmer drangen die Stimmen

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