Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
nicht in der knappen Zeit, die sie miteinander verbringen konnten. Er machte sich andauernd Gedanken um sie, und sie wollte, dass es so viele frohe Gedanken waren wie nur möglich.
Ich hab den falschen Mann geheiratet, hätte sie ihm am liebsten gesagt, aber sie brachte es nicht über sich. Sie hatten sich gerade erst scheu gestanden, dass sie ineinander verliebt waren – aber zu fragen, was nun werden sollte, trauten sie sich beide nicht. Larry war frisch ins Amt gewählt; auch wenn er damit die Nachfolge seines Vaters antrat, war er doch der jüngste Sheriff, von dem man jemals gehört hatte, und mit einem Skandal und einer Scheidung war an weitere Amtszeiten vermutlich nicht zu denken. Und Sheriff-Sein war das, was Larry wollte – der einzige Beruf, den er je gewollt hatte, deshalb war er ja auch zur Polizei gegangen, statt zu studieren wie sie und Wayne. Wenn er doch studiert hätte! Sie und Wayne waren in der Schule nie sonderlich befreundet gewesen, aber auf dem College fanden sie sich, weil sie Larry gemeinsam hatten – weil Jenny sich nach Larry sehnte und Wayne sie zum Lachen bringen, sie von ihrer Einsamkeit ablenken konnte. Weil er sanft und freundlich war – nicht wie die ganzen anderen besoffenen Idioten, die nur aufs Grabschen aus waren.
Und daheim in der Kirche lernte Larry derweil Emily kennen – er rief Jenny an einem Abend in ihrem zweiten Collegejahr an, um ihr zu sagen, dass er sich verliebt hatte, dass er glücklich war und hoffte, dass Jenny sich mit ihm mitfreute.
Ich bin mit Wayne zusammen, sagte sie – platzte heraus damit, erleichtert, es endlich sagen zu können.
Im Ernst? Larry hatte kurz geschwiegen. Mit unserem Wayne?
Aber so viel Jenny auch davon träumen mochte, Larry zum Mann zu haben (und dieser Tage träumte sie häufig davon), wusste sie doch, dass es bestenfalls unrealistisch war. Sie konnte nur hier stehen und warten, ob ihr tatsächlicher Ehemann (der ihr manchmal eher wie ein dritter Sohn vorkam) heute noch irgendwann begreifen würde, dass die Familie rief – und sich dabei vorstellen, wie Larry bei sich daheim mit Emily im Wohnzimmer saß. Wahrscheinlich redeten sie auch nicht miteinander; Emily sah im Zweifel fern, und Larry saß im Sessel und las ein Buch über den Bürgerkrieg. Oder er dachte an sie. In Jennys Bauch kribbelte es.
Aber was spintisierte sie sich da zusammen? Bei den Thompkins war schließlich auch Weihnachten; Larrys Eltern waren da, das hatte Jennys Mutter, die mit Mrs. Thompkins befreundet war, doch vorhin erwähnt. Nein, bei Larry ging es sicher ganz ähnlich zu wie bei ihnen, nur fröhlicher. Larry und sein Vater und Bruder tranken Eierpunsch, angerührt nach einem speziellen Weihnachtsrezept, und Emily und Mrs. Thompkins, die sich mehr zu sagen hatten als Emily und Larry, standen plätzchenbackend in der Küche und schwatzten. Bei dem Gedanken an all diese Geselligkeit und Betriebsamkeit schnürte sich Jenny die Kehle zu. Lieber stellte sie sich Larrys Haus trist vor: als einen leeren Ort, viel zu groß für Larry, der Jenny brauchte, Jenny und die Kinder -
Sie trocknete sich gerade die Hände ab, als sie das Auto durch den Wald heranknattern hörte. Wayne musste endlich einen neuen Auspufftopf besorgen. Sie seufzte, dann rief sie laut: Daddy ist da!
Daddy!, rief Danny. Oma, endlich!
Wenn Wayne das nur hören könnte!
Sie schaute aus dem Küchenfenster und sah Waynes Auto auf die Garage zurollen, sah, wie die breite weiße Lichtbahn seiner Scheinwerfer sich auf dem Garagentor verengte, feste Umrisse annahm. Er parkte zu nah am Tor. Jenny hatte ihn mindestens ein dutzendmal gebeten, so viel Abstand zu lassen, dass sie mit dem Vega notfalls noch aus der Garage herauskam. Sie sah Wayne hinterm Steuer, sein Gesicht orange leuchtend vom Widerschein der Lämpchen am Armaturenbrett seines Impala. Er hatte seine Brille auf; sie konnte die Lichtreflexe sehen, kleine Streichholzflämmchen.
In ihrer Phantasie ließ sie Larry nach Hause kommen – ließ ihn vor einem anderen Küchenfenster vorfahren und aus seinem Streifenwagen steigen. Sie hörte die Stimmen ihrer Söhne, die Daddy ! riefen. Ein blasphemischer Gedanke; dennoch spürte sie ein Prickeln dabei. Larry liebte die Jungen, und die beiden liebten ihn; Jenny schaute manchmal mit ihnen im Revier vorbei, dann ließ Larry sie in seinem Polizeiauto mitfahren. Seine Ehe mit Emily wäre vielleicht glücklicher, wenn sie Kinder miteinander hätten. Jenny durfte das eigentlich nicht wissen,
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