Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
sie nicht zur Rede gestellt – vielleicht, weil ich es einfach nicht wahrhaben wollte. Aber dann ist Marja letzten Monat übers Wochenende weggefahren, zusammen mit diesem Mann, und sie hat mir die unverschämtesten Lügen darüber aufgetischt. Verächtliche Lügen, und da wurde mir endlich klar, wie sehr sie mich diese ganze Zeit über vorgeführt hat. Um Diskretion hat sie sich jedenfalls nicht bemüht.
Karel hält sein Glas schräg, kippelt es hin und her. Dann sagt er: Am ersten Abend, nachdem sie weg war, bin ich in eine Bar gegangen, mit einer Studentin von mir. Ich habe sie mit nach Hause genommen. Wir haben Marjas Bett benutzt, und ich habe es extra zerwühlt gelassen.
Er lächelt, ein angewidertes Lächeln.
Er sagt: Und zwar nicht, damit Marja es endlich anspricht. Manche Männer gehen ja auch deshalb fremd, weißt du – wegen dem Sex natürlich auch, aber vor allem, weil etwas nicht stimmt, nur können sie es nicht benennen, also zwingen sie ihre Frauen, es für sie zu benennen. Aber ich habe es nicht deshalb gemacht. Ich habe es gemacht, um ihr weh zu tun.
Er sieht mich an, ganz kurz nur. Und jetzt lassen wir uns scheiden, sagt er. Also ist es mir offenbar gelungen.
Ich kann es dir nicht vorwerfen, sage ich.
Ich fühle mich nicht schuldig, Ani. Traurig, ja. Aber um Marjas wegen ein schlechtes Gewissen zu haben, müsste ich zu viele Jahre zurückgehen.
Was er da sagt, macht mir Unbehagen, aber ich mag ihm nicht sagen, warum.
Ich mag nicht gestehen, dass ich manchmal, wenn Jozef weg ist, in der Badewanne liege und mir vorstelle, er kommt von einem seiner Solos heim und findet uns ermordet. Er kommt heim, erfüllt von dieser Ruhe, diesem Zen-Gefühl, von dem er immer redet, und er öffnet die Tür, und da liegen wir in unserem Blut.
Siehst du, wird mein Geist zu ihm sagen, du warst nicht als Einziger in Gefahr.
Ich sage zu Karel: Schreckliche Gedanken kommen und gehen. Sie lassen sich nicht steuern.
Du bist eine Heilige, Anica.
Ich denke: Wünscht eine Heilige ihrem Mann einen Unfall in den Bergen? Denn das tue ich manchmal. Ich liebe Jozef, ich liebe ihn wirklich. Aber manchmal steigt in mir der Gedanke auf, wenn er nur stürbe, dann wäre ich befreit von dieser Liebe. Dann hätte ich die Witwenschaft auszustehen – für die ich seit langem gerüstet bin -, aber nicht mehr diese Qual, Jahr für Jahr neu. Ich sehne die Lawine herbei, die ihn begräbt, das Seil, das reißt, und nicht nur, damit ich mein Leben leben kann, sondern damit ich Recht hatte, damit ich sagen kann, all dieses Leiden und Sich-Grämen hatte seinen Grund.
Karel legt seine Hände auf meine, und sein Daumen schiebt sich unter meine Handfläche und streichelt sie. Seine Fingerspitzen sind weich; seine Hand fühlt sich an wie Stanes Hände, wie meine eigenen. Diese Geste, dieses Bild der beiden Hände zusammen, schmerzt ihn offenbar, denn er starrt eine Zeitlang aus dem Fenster, dabei ist es der finsterste Teil der Nacht.
Aber er nimmt seine Hände nicht fort.
Jozef ist ein guter Mann, sagt Karel.
Ich sage: Wenn er nicht klettert, gibt es keinen besseren.
Karels Daumen hört nicht auf, seinen kleinen Kreis zu beschreiben. Ich stelle mir seine weichen Handflächen auf meinem nackten Bauch vor, stelle mir vor, wie sie die Innenseite meines Schenkels entlanggleiten.
Karel sagt: Ich bewundere ihn. Nicht bloß, weil er etwas kann, was ich nicht kann. Eins weiß ich bei Jozef ganz sicher: Er würde dich niemals betrügen. Ein Gelübde ist für ihn ein Gelübde.
Aber er betrügt mich doch, sage ich, und die Kehle schnürt sich mir zu. Eine andere Frau würde ihn wenigstens nicht umbringen. Mir wäre es lieber, er hätte Affären.
Reines Selbstmitleid, aber Karel geht großmütig darüber hinweg. Mir sein Herz auszuschütten, hat ihn, scheint es, ruhiger gemacht, ihn befreit. Er lächelt ein klein wenig.
Er sagt: Ich versuche mir immer zu sagen, dass Jozef ein Künstler ist, dass das, was er tut, die Welt bereichert, auf die gleiche Art wie ein Gemälde. Oder dass er wie ein Astronaut ist. Wenn ich drüber nachdenke, dann ist es mir doch lieber, den Mond von den Menschen betreten zu wissen als nicht.
Genau diese Sachen sage ich mir auch, sage ich, aber was denken die Frauen und Brüder der Astronauten, wenn die Rakete startet?
Ich stelle mir vor, sagt Karel und drückt meine Hand, ihnen geht es wie uns. Sie können sich nicht aussuchen, wen sie lieben.
Er hebt meine Hand zusammen mit seiner und küsst meine
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