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Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Bis an das Ende der Nacht (German Edition)

Titel: Bis an das Ende der Nacht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christopher Coake
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uns bald wieder treffen, sagte ich zu ihm. Morgen Abend.
    Er lächelte mich an, verstohlen, und knöpfte sich das Hemd über der Brust zu.

III.
     
    Die Sonne vor dem Schlafzimmerfenster steht hoch am Himmel. Eine Weile liege ich einfach da, versuche mich auf die vergangene Nacht zu besinnen, darauf, wann ich wohl eingeschlafen bin. Aus der Küche dringt Lachen herüber – Stanes Lachen – und Karels tiefe Stimme, die etwas antwortet. Und da fällt es mir wieder ein, und die Scham siedet auf.
    Und gleichzeitig, unterschwellig, Enttäuschung.
    Ich kann mich nicht vor ihnen verstecken. Ich ziehe den Bademantel über und gehe ins Wohnzimmer, meine Füße eisig auf dem kalten Holzboden. Stane und Karel sitzen in der Küche vor dem Laptop. Das ganze Haus riecht nach Kaffee und gebratenem Speck; Karel hat seine gesamten Kochkünste aufgeboten.
    Guten Morgen, Fräulein Faulpelz, sagt Stane kichernd.
    Guten Morgen, Herr Schlaumeier, sage ich und wuschle ihm durchs Haar.
    Karel sieht vom Computer hoch und sagt: Kaffee steht auf dem Herd. Und er wirft mir einen schnellen Blick zu – wie ein Hund, der etwas angestellt hat und dafür Prügel erwartet.
    Irgendwelche Neuigkeiten?, frage ich.
    Papa ist fast auf dem Gipfel, sagt Stane. Die Linie ist schon soo dicht dran. Er spreizt Daumen und Zeigefinger auseinander.
    Das Wetter ist gut, sagt Karel. Er müsste es schaffen.
    Na, das ist ja schön. Ich setze mich hin; ich habe keine Ahnung, was ich sonst noch sagen könnte.
    Jetzt, wo ich bei ihnen bin, frühstücken wir, obwohl es nach der Uhr fast schon Mittag ist. Wieder empfinde ich diese seltsame Losgelöstheit: während ich Schinkenspeck esse, kämpft sich Tausende von Kilometern entfernt mein Mann die Abschlusswand des Shipton’s Peak hoch. Er vollbringt jetzt, in diesem Moment, was noch keiner vor ihm vollbracht hat. Er schreibt seinen Namen ins Buch der Geschichte, und ich sitze hier und trinke meinen Kaffee.
    Ich hab mir gedacht, sagt Karel, wenn wir mit Essen fertig sind, könnten wir doch einen Spaziergang machen. Ich würde mir gern den Römerwall ansehen. Stane ist auch dafür, oder?
    Au ja, sagt Stane eifrig. Wollen wir?
    Und auch mir scheint das eine hervorragende Idee – sehr viel besser, als im Haus zu hocken und darauf zu warten, dass das Telefon klingelt. Und ich bin zu Tränen dankbar, dass Karel noch hier ist, dass er versucht, so zu tun, als wäre das, was zwischen uns passiert ist, nicht geschehen.
    Nach dem Frühstück dusche ich und ziehe mich an, und während Stane und Karel schon in den Garten vorgehen, trödle ich noch kurz im Haus. Und dabei beschließe ich, das Mobiltelefon zu vergessen. Es ist ein herrlicher Tag da drau ßen, und wenigstens ein bisschen will ich dort sein, in der Welt, statt in meinem Kopf mit seinen Bildern von Atemnot, Erfrierungen, viertausend Metern gähnender Tiefe.
    Dann gehen wir los. Auf der anderen Talseite taucht die Sonne das Grau der Kalkalpen in ein warmes Gold, und die Kiefernhänge weiter unten leuchten üppig und grün. Der Fluss im Talgrund hat keine eigene Farbe, er besteht nur aus Lichtpunkten und Uferspiegelungen. Wir folgen der Mauer des Römerwalls, der strenggenommen recht unspektakulär ist: fast überall niedrig und bröckelig, mit vereinzelten hohen Stützpfeilern, von Bäumen überhangen und stellenweise von wucherndem Wurzelwerk zum Einsturz gebracht.
    Stane läuft Karel und mir voraus, umkreist uns dann wieder wie ein wachsamer Schäferhund seine Herde, ehe er erneut davonsaust, um den Weg vor uns auszukundschaften. Er schleppt einen Beutel Plastikmännchen mit, ein ganzes Regiment, wie es scheint, und jedesmal, wenn er wieder bei uns auftaucht, hat er einen davon in der Faust. Manchmal redet er mit ihnen.
    Karel geht neben mir her, die Hände in den Jackentaschen vergraben, und lässt den Blick von einer Seite des Tals zur anderen wandern – überallhin außer zu mir. Sein Gesicht ist die Ruhe selbst: ein sicheres Zeichen, dass die Sache noch an ihm nagt. Unsere Schritte knirschen überlaut, vielleicht weil Stane gerade zu weit vorneweg läuft, als dass wir viel von ihm hören könnten – vielleicht aber auch, weil Karel und ich noch keine zehn Worte miteinander gesprochen haben.
    Als ob ich eine Sechzehnjährige wäre, die neben einem Jungen hergeht und nicht weiß, ob sie seine Hand nehmen soll oder nicht.
    Nein. Als ob ich eine Zwanzigjährige wäre, die verkatert im Bett eines Mannes aufwacht und auf einen möglichst würdigen Abgang

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