Bis an das Ende der Nacht (German Edition)
ausgemergelt zurück, windverbrannt, sein Körper voller Risse und Schrunden. Rau sind seine Hände immer – das will er so, der größeren Griffigkeit wegen -, aber am Ende einer Expedition stecken sie meistens in Verbänden, zu steifen Fäustlingen geschwollen.
Dennoch, nichts hatte mich auf den Anblick vorbereitet, der mich nach Annapurna III erwartete. Der Jozef, den ich geheiratet hatte, war gebräunt gewesen, bärtig, strotzend vor Muskeln. Der Mann in dem Krankenhausbett in Katmandu war zu dünn, sein schwaches Kinn kahlgeschoren, seine Augen schwerlidrig und stumpf von Schmerzmitteln und Verzweiflung. Seine Mundwinkel zeigten nach unten wie bei einem alten Mann. Die Haut an Backen und Nase hing in Fetzen herab. Seine Hände waren dick verbunden.
Er konnte kaum die Arme heben, um mich an sich zu ziehen. Als ich meine Wange an seine legte, fing er an zu wimmern und zu schluchzen.
Ich hab immer gelauscht, sagte er ein ums andere Mal. Und: Gaspar ist weg, er ist weg.
Ich liebe dich so sehr, versicherte ich ihm. Ich bin bei dir. Du bist daheim.
Erst da lächelte er – und vom Lächeln sprangen seine Lippen auf, und Blut lief ihm übers Kinn.
Wir sind schon ein gutes Stück gefahren, da klingelt das Mobiltelefon. Karel sieht zu mir herüber und fährt den Wagen rechts ran, während ich das Gespräch annehme.
Er geht hoch zum Gipfel, sagt Hugo an meinem Ohr. Er hat den Grat erreicht, und ein paar Stunden später haben wir dann seine Blinkzeichen gesehen. Er quert zurück in die Abschlusswand. Anscheinend hat er eine Route entdeckt.
Das hätte ich mir wohl denken können, sage ich.
Ani, er ist phantastisch geklettert heute. Ganz phantastisch. Ich glaube, er kommt klar, wirklich.
Hugo ist ein Idiot, und es interessiert mich einen Dreck, was er glaubt. Außerdem betet er Jozef an, das weiß ich; für ihn ist jede Entscheidung, die Jozef trifft, die richtige. Er hat seinen Pakt geschlossen, genau wie ich.
Ich hoffe, du hast Recht, sage ich. Ruf mich an, wenn du mehr weißt.
Mach ich. Und sorg dich nicht zu sehr, ja? Wir reden hier schließlich von Jozef. Jozef macht keine Fehler.
Darauf kann ich nichts antworten. Ich schalte das Handy aus. Stane auf dem Rücksitz hat sich nicht gerührt. Ich drehe das Gesicht weg, damit Karel es nicht sieht. Ich schaue in meine Augen im Beifahrerfenster, und es ist ein Anblick zum Fürchten. Das da in dem Glas ist ein Geist, eine Frau nur dem Umriss nach, kein lebendes Wesen mit Empfindungen.
Als wir angekommen sind, trägt Karel Stane in sein Zimmer. Stane schlingt Karel die Arme um den Hals, aber richtig wach wird er nicht. Ich ziehe ihm die Kleider aus; er ist schlaff wie eine Stoffpuppe. Ich küsse ihn auf seine feuchte Stirn und gehe hinüber in die Küche. Karel sitzt am Tisch und trommelt mit den Fingern.
Alles in Ordnung?, fragt Karel.
Wir waren uns vor ein paar Tagen schon einig, was für eine saudumme Frage das ist, aber Karel stellt sie mir trotzdem, und ihm bin ich nicht böse deshalb. Nein, sage ich.
Ich lass dich allein, wenn -
Nein, sage ich und setze mich neben ihn. Nein. Ich bin viel zu sehr außer mir. Und schlafen kann ich eh nicht.
Ich auch nicht. Bist du traurig oder wütend?
Ich sage: Beides. Und ich habe Todesangst. Alles drei und nichts davon. Keine Ahnung.
Ich sehe Karel an, und dann erzähle ich ihm, was Papa heute zu mir gesagt hat.
Karel sagt: Er kriegt mehr mit als früher.
Sekundenlang verändert sich sein Ausdruck. Papa und Karel haben auch eine Weile unter vier Augen gesprochen. Ich frage mich, was Papa wohl zu ihm gesagt hat. Hat er mitbekommen, wie Karel mich beobachtet, wie ich Karel beobachte?
Darf ich dir was erzählen?, fragt Karel.
Mein Magen zieht sich zusammen, aber ich nicke.
Papa hat ein Geheimnis erraten, sagt Karel. Marja hat mich verlassen. Vor zwei Wochen schon. Wir lassen uns scheiden.
Karel. Das hättest du mir sagen sollen.
Nein. Karel verhakt die Finger ineinander und starrt darauf. Nein, ich wollte dir das nicht auch noch aufbürden.
Du denkst zu viel an andere. Ich tätschle seine Hand und sage: Ich möchte es wissen, wirklich.
Es ist noch eine halbe Flasche Wein im Kühlschrank, und ich stelle sie auf den Tisch, hole Gläser. Karel gießt uns ein.
Er sagt: Marja hat sich einen Liebhaber genommen – sie hat ihn jetzt schon ein Jahr. Ein Freund hat es mir vor zwei Monaten gesagt. Es hätte mich nicht überraschen dürfen – immerhin schlafen wir seit über einem Jahr in getrennten Betten. Ich habe
Weitere Kostenlose Bücher