Bis ans Ende der Welt
ganzen Raum, zogen umher, was verblüffende Klangeffekte nach sich zog. Das Publikum war begeistert und ließ sich beim Spenden nicht lumpen. Ansonsten war die Vorstellung eintrittsfrei. In der Pause kam Sissi plötzlich mit der Nachricht, sie werde nicht mehr auf dem Camino weitergehen, sondern am nächsten Tag mit dem Bus oder Taxi in Richtung Lourdes aufbrechen, um dann noch einen oder zwei Tage zu Fuß ans Ziel zu pilgern. Pas de Sissi. Keine Sissi mehr. Aus war’s mit Sissi. Ein Schock. Ich gewöhnte mich inzwischen so sehr an sie, daß ich mir eine Trennung kaum vorstellen konnte. Was sollte ich ohne sie machen? Ich war sprach- und ratlos. Sie faßte ihren Entschluß vermutlich schon vor einiger Zeit, hielt ihn jedoch zurück, damit er nicht zwischen uns steht. Sie hatte genauen Zeitplan für ihre Ferien, und irgendeine Cousine wartete schon auf ihren Besuch. Da war nichts zu machen. Sie wußte, was sie will. Zugleich wurde mir klar, daß auch Joanna fortan nicht mitkommen wird. Sie brauchte dringend längere Erholung, wer weiß wie lange. Knieprobleme gingen nicht durch eine Mütze Schlaf weg. Ich war wieder auf mich allein gestellt. Und der Herr schickte ein großes Gewitter nach der Pause, grelle Blitze und tiefer Donner mischten sich ein. Unsere Sachen auf der Wäscheleine im Garten hinter der Herberge wurden patschnaß. Es paßte irgendwie zur Stimmung. Nach dem Konzert gingen wir mit Elisabeth in die einzige Bar vor Ort, um Abschied zu feiern, doch es war lau. Wir hielten uns tapfer, doch war es ein langer Tag, an einem anderen wären wir längst im Bett gewesen. Wir waren einfach körperlich und emotionell erschöpft. Zurück in der nun stillen Herberge schliefen wir bald ein. Als ich in der Nacht aufwachte, schlief Joanna unruhig, sprach im Schlaf, Elisabeth, bis zum Scheitel im Schlafsack eingerollt, gab keinen Laut vor sich. Pas de Sissi! Nicht denken, schlafen.
Livinhac-le-Haut, km 1531
Der Morgen kam, er hätte mit einer Pilgermesse passend für diesen Ort anfangen müssen. Laut Führer gab es jeden Morgen eine Messe mit Pilgersegen. Aber Elisabeth schien es an diesem Tag nicht zu kümmern. Wir frühstückten lange, und alles zog sich fade dahin. Ich kam einfach nicht weg, blieb bei Elisabeth, zog mit ihr herum, um Geld, um Reiseauskunft zu holen. Es war nicht der beste Ort, um den Camino zu verlassen. Es ging hier kein Zug, kein Bus, sie konnte bestenfalls ein Taxi nehmen, was teuer kam. Ich schlug vor, von hier aus gemeinsam nach Lourdes zu gehen, dann einfach weiter über die Pyrenäen nach Santiago. Das wäre etwas. Und wer weiß, was daraus hätte noch werden können. Irgendwann mußte ich dann doch los. Es war heute eine Etappe wie jeden Tag, sie mußte gegangen werden. Es hieß, endgültig Abschied zu nehmen. Doch Joanna war seit dem Morgen nicht auffindbar. Daß auch sie nicht mit mir gehen wird, stand sowieso fest. Angeblich wollte ihre Mutter kommen, und sie konnte sich bis dahin richtig erholen. Doch verabschieden wollte ich mich von ihr. Auch sie ist ein Teil von mir geworden. Es wollte mir nicht in den Kopf, wohin sie verschwunden sein konnte. Der Ort war so winzig klein, daß man sich praktisch überall begegnen mußte. Die Herberge war fast leer und schnell durchsucht. Alle Pilger und die meisten Gäste waren schon längst auf dem Weg. Nur ein paar Heimkehrer waren noch übrig. Es war nichts zu machen, ich schulterte den Rucksack. Da tauchte wie aus dem Nichts Joanna mit Stephanie auf. Vielleicht lauerten sie irgendwo um die Ecke, damit sie uns nicht stören, wer weiß. Ich segnete sie alle drei und trödelte mit ihnen vor dem Eingang der Herberge noch ein wenig mehr herum. Der Herr sah allem geduldig zu, als ob er ohne mich rein gar nichts zu tun hätte. Aber wie lange kann man einen Abschied hinauszögern? Im Weggehen sah ich Elisabeth auf der Mauer sitzen und weinen, ihr schönes Gesicht ganz rot und geschwollen. Armes Mädchen. Je ne t’oublie pas, jamais. In diesem Augenblick wußte ich, ich liebe sie, und sie liebt mich, zumindest in diesem Augenblick, der in jedem Leben so kostbar ist. Doch bei mir besonders, da ich seit Jahrzehnten keinem Menschen so nahe kam. Auch wenn unsere Liebe keine Chance hatte. Der Herr wußte es vielleicht, aber er schenkte uns diesen Augenblick des glücklichen Staunens über das Wunder der Liebe. Ich nahm sie in die Arme, bis sie sich beruhigen konnte. Mir wäre es lieber, die zwei anderen Mädchen nicht dabei zu haben. Dann hätte ich einfach
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