Bis ans Ende der Welt
geöffnet, wodurch der aus dem Gleichgewicht gebrachte Pilgerstab mit großem Krach zu Boden ging und mich wie beabsichtigt sofort weckte. Ich lugte unter den Laken hervor und sah Elisabeth kleinlaut ins Zimmer huschen. Sie vergaß, daß ich immer auf diese Weise die Tür sicherte. Nun war es ihr wohl etwas peinlich, und sie verkroch sich im Bett gegenüber unter den Decken. Es war schon merkwürdig, daß sie gerade jetzt ins Zimmer zurückkehrte. Draußen war es nicht kalt, zum Streiten unter den Mädchen wäre es sowieso viel zu spät, keine von ihnen schnarchte, und ich traute mich nicht zu glauben, Sissi wäre um diese Stunde nach Liebe schmachtend meinetwegen gekommen. Und ich hatte sie einfach zu lieb, um es unter diesen unklaren Umständen herausfinden zu wollen. Also schlief ich gleich wieder ein in den herrlich frischen Laken. Eines davon gehörte eigentlich Elisabeth, das habe ich in guter Absicht an mich genommen, da sie ja unbedingt im Zelt schlafen wollte, aber damit war jetzt nichts mehr zu machen.
Am Morgen war die liebe Sissi nicht aus dem Bett zu bringen. Sie schien in der Nacht nicht viel geschlafen zu haben, nun holte sie es im besten Tageslicht nach. Der Sonnenstrahl streichelte vergeblich ihre rosa Wange, mit Zureden war nichts, ich mußte sie anfassen, damit sie aufwacht. Sie machte die Augen auf und lächelte mich an, daß ich die Engel durchs Zimmer fliegen sah. Darum heißt es: Ich erwachte und blickte umher, und mein Schlaf war süß gewesen. [37] Joanna dagegen war schon fix und fertig gepackt und grimmig entschlossen, nicht später als um sieben Uhr aufzubrechen, damit wir unterwegs mehr Ruhepausen einlegen können. Beide Mädchen hatten gute Argumente, das sah ich ein. Aus dem Gespräch beim Frühstück war nicht herauszuhören, warum sie nicht die ganze Nacht zusammen im Zelt blieben. Elisabeth entschuldigte sich bei mir für die nächtliche Störung, ich entschuldigte mich, Pilgerstäbe vor die Türe zu stellen. Beides war überflüssig, wie wir wußten. Joanna hörte dem zu und sagte nichts, fragte nichts, machte keine Miene. Am Ende starteten wir wieder wie üblich erst weit nach acht Uhr. Ich war auch nicht ganz unschuldig daran. Am Morgen bin ich halt ein Muffel. Es war schon so spät, daß wir noch im Laden an der Straße Verpflegung für den Tag einkaufen konnten. Es machte mich immer irgendwie glücklich, am frühen Morgen frisches, noch ofenwarmes Brot zu kaufen und dann mit der Baguette — quer unter dem Rucksackriemen geschoben — voller Lust und Erwartung in den blauen Tag zu schreiten.
Die Gegend hier lag zwischen drei- bis sechshundert Höhenmetern relativ tief, war aber trotzdem ziemlich bergig. Es ging links und rechts, rauf und runter, es war kein leichter Weg, vor allem nicht für Joanna. Auch wenn wieder die Bremer für den Transport ihres Gepäcks Sorge trugen. Sie schien mir heute irgendwie muffig gelaunt zu sein, vielleicht hatte sie abermals Schmerzen. Mit mir wollte sie offenbar nicht darüber reden. Zunächst gingen die Mädchen wie gestern zusammen und plauderten luftig dahin. Doch plötzlich beschlossen sie sich zu trennen. Wir zwei sollten vorangehen und Joanna langsamer hinterher. An einer schönen Stelle am Weg wollten wir uns zur Siesta treffen. Es war schon wieder ein Rätsel. Elisabeth hätte sich normalerweise auf so etwas nicht eingelassen. Und ich wurde überhaupt nicht gefragt.
Elisabeth legte gleich los, und mir blieb nur übrig, ihr zu folgen. Alles verlief scheinbar ganz normal. Die Landschaft war herrlich, die Weiler und Einöden pittoresk aus grauem Stein aufgeschichtet. Türen und Fenster standen überall offen, Hunde lagen faul auf der Treppe, dösten und ließen sich in keinerlei Weise von den Hühnern und Enten stören, mochten diese auch über sie stolpern. Kein Mensch ließ sich sehen, es sei denn eine fleißige Bäuerin lief schnell in den Gemüsegarten ein paar Tomaten pflücken, warf uns einen versteckten Blick zu und verschwand wieder. Bäuerliche Aktivitäten gleich welcher Art waren nicht auszumachen, Misthaufen, Kuhfladen und Güllegestank sind uns schon ein paar Tage nicht mehr begegnet. Dafür immer wieder ganze Felder mit kobaltblauen Schmetterlingen auf dem Weg, die geschickt genau dem drohenden Fuß Platz machten und mit einem Flügelschlag alle auf einmal die Farbe wechselten. Es schien eine Art von kollektiver Intelligenz. Überall wuchsen Blumen in allen Variationen. Ein völlig verwachsener Garten vor einer grauen
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