Bis ans Ende der Welt
wurde es ihm zu langweilig, und er ging, um sich andere Opfer zu suchen. Noch Tage später erzählte man mir von einer zottigen Bestie, die in der Gegend den Pilgern auflauert. „La bête du Gévaudan!“ amüsierte ich mich laut. Es war gut zu hören, daß es meinem Freund gut ging und er noch Freude am Leben hatte.
Es gibt in allen Kulturen den Schelm, den Trickster, ein Wesen zwischen Gott, Tier und Mensch aus einer anderen Welt und Zeit, das jede Gestalt und jeden Ausdruck annehmen kann, der herumschleicht, um Menschen Streiche zu spielen, den Urheber unerwarteten Schreckens und der Panik. Er trägt viele Namen — Pan, Faun, Maponos, Mag ind Óg, Hanuman, Coyote, Brer Rabbit, Anansi, Eshu . Vielleicht gibt es ihn wirklich, auch wenn er in die christliche Weltordnung nicht zu passen scheint, und ich bin ihm hier begegnet. Wenn er es war, so kam ich noch recht gut davon. Wenn es aber nur ein schnöder spaßiger Hund war, so will ich hoffen, daß ihm am Ende keiner der Jäger zum Verhängnis wurde, die jetzt nach der Ernte zahlreich durch die Gegend streiften und auf alles schossen, was sich im Gebüsch bewegte. Teilweise kam man sich wie auf dem Schießstand vor. Offenbar hatte hier jedermann ein Gewehr und zwei Jagdhunde dazu, um Kleintiere aus dem Versteck zu scheuchen und ihnen in den Rücken zu ballern. Meist fanden die Jäger nichts, weil es kaum mehr was zu schießen gab, und die wenigen verbleibenden Tiere in ihrem Versteck nicht so einfach aufzustöbern waren. Aber die Jäger waren nicht wählerisch, wenn ihnen etwas vor die Flinte kam, sei es auch nur eine Blindschleiche, drückten sie ab. Wenn nicht, ballerten sie einfach so durch die Gegend, weil es gerade lustig war. Einmal marschierte ich an einem alleinstehenden Haus vorbei. Aus dessen Innern hörte ich ganze Serien von Schrottgewehrschüssen. Es war ein kleines, billiges Fertighaus aus minderwertigem Material, dessen Wände kaum einem Schuß standhalten würden. Es erzitterte jedesmal, als ob es sich fürchten würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, gegen was man da drinnen schießen mochte. In den Boden? Dutzende Male? Ein anderes Mal passierte ich in der Dämmerung ein enges Talgrund, das nicht viel tiefer war als meine Körpergröße, während jemand direkt über meinem Kopf mehrere Schüsse abgab. All mein Instinkt riet mir, Deckung zu suchen, den Feind zu identifizieren und zu eliminieren, auch wenn ich wußte, daß das hier nur ein blödes südländisches Gehabe war, und ich nicht das Ziel. Ich mußte da einfach durch, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubte. Das Widerlichste jedoch war mir das systematische Töten auch der kleinsten Tiere und Vögel. Einmal traf ich so einen Jäger mit einem ganzen Schwarm grauer Singvögel am Gürtel hängend. Er trug sie stolz wie eine Auszeichnung. Am liebsten hätte ich ihn verbeult und ihm die eigene Schrotflinte in den Hintern geleert. Der Trickster hätte es auf seine hinterfotzige Art gewiß getan, ich aber hatte es zu lassen. Ich war ja als reuiger Pilger unterwegs und wußte, der Herr würde es nur ungern sehen. Die Tiere hat er dem Menschen untertan, doch für den Mitmenschen forderte er Rechenschaft. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein. [66] Da lag ich in seinen Erwartungen ohnehin schon zu kurz. Wie immer. Um mich ein wenig abzukühlen, schimpfte ich mich statt dessen bei einem in Köln lebenden Portugiesen darüber aus. Es war ein robuster, bäuerlicher Typ, mit dem ich ab und zu ein Glas Wein trank und ein Schwätzchen hielt. Der Alte aber wies mich ab. Sein Arzt habe ihm gerade solche Gespräche verboten, als er ihn auf die Pilgerreise schickte. Also beschloß ich wieder mal, auch ohne Rücksprache mit meinem Hausarzt, keinerlei Grundsatzdebatten mehr mit den Piefkes zu führen, mögen sie auch aus Portugal stammen.
Ein grimmiges, humorloses Volk waren sie. Die Deutschen wie die Südländer. Vielleicht lag es an der enormen Strahlung der Sonne, die auf die kahle Landschaft niederbrannte, als ob es gar keine schützende Atmosphäre, kein Erdmagnetfeld gäbe. Wir waren hier in den Oca-Bergen mehr als tausend Meter über dem Meer, auch wenn die Felder und die Hitze vielleicht eine niedrigere Höhe vortäuschten. Früher einmal war all das hier dicht bewaldet. Die Gegend sei unter den Pilgern gefürchtet gewesen, berichtete der Führer, wegen des schwierigen, unübersichtlichen Geländes, der wilden Tiere und der gewerblichen
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