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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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schleppend, der nicht hierher paßte. Offenbar waren sie ein Paar, wenn auch ein seltsames. Sie gingen grußlos vorbei, hatten genug mit sich zu tun. Junzo, der Samurai, näherte sich im Schneckentempo, nickte nur matt zum Gruße und zog stumm weiter. Erst vor einigen Tagen feierte Junzo den fünfundsechzigsten Geburtstag, war sozusagen der älteste Pilger in der Welle. Er marschierte zu Fuß den ganzen Weg von Italien, wo er die Sprache der Renaissance lernte. Allein das fand jedermann originell. Ein alter, verschrumpfter Asiat mit Renaissancefibel. Er führte ein schönes, illustriertes Tagebuch auf Italienisch. Das mußte er ständig herumzeigen. Doch wie alle Japaner hier auf dem Camino, machte Junzo nicht viel Aufsehen um sich. Sprach man ihn an, reagierte er freundlich und rege, ansonsten parkte er irgendwo in der Ecke oder streunte herum. Mir kam der Roboterhund Aibo in den Sinn. Er war mein geheimer Favorit, ich spielte gar mit dem Gedanken, mir einen zu kaufen, um dann, stets zu gegebener Stunde, mit ihm zu Hause auf dem Kirchplatz zu flanieren. Aber der Preis dieses Vergnügens war mir dann doch zu hoch. Junzo war ähnlich pflegeleicht. Ich versuchte, mir beide zusammen vorzustellen. Doch wolle es mir nicht gelingen. Statt dessen kam mir immer das seltsame Paar von vorhin in den Sinn. So machte ich mich lieber neu auf den Weg, bevor ich noch auf mehr Blödsinn gekommen war. Aber es hob mein Selbstwertgefühl ein wenig, daß ich schon nach kurzem Weitermarsch Junzo, genauso fix und fertig wie ich zuvor, unter einem verstaubten Dornbusch hocken sah. Dann holte ich das ungleiche Paar von vorhin ein, und kam zu der Überzeugung, es müsse mir eigentlich super gut gehen, nur hätte ich es noch nicht gemerkt. Was waren da meine brandheißen Blasen und schmerzenden Schultern im Vergleich zum Leiden dieses gewichtigen Mannes, den die Liebe zu einer Walküre auf den Camino trieb. Wirf dich fort, Mensch, harre nicht! Locker und leicht zog ich um vier Uhr bei sengender Hitze in Boadilla ein.
    Viele der Herbergen auf dem Camino Francés werden von Ausländern betrieben. Holländer, Engländer, Deutsche, häufig auch Rückeinwanderer aus dem politisch und wirtschaftlich unsicher gewordenen Südamerika. Insbesondere für die letzteren sicherte so eine Pilgerherberge mit wenig Kapital ein bescheidenes Einkommen dort, wo es sonst kaum Arbeitsplätze gab. Besser als die kommunalen, waren die privaten Herbergen allerweil. Vor allem sauber waren sie. In Boadilla gab es gleich vier Privathäuser, seltsamerweise alle mit viel Ambiente. Das erste auf dem Weg gehörte einem Tschechen. Zumindest verkündete ein handgemaltes Schild vor dem Eingang in einem entarteten Tschechisch: To je Albergue poutníka. Der Rest bestand aus diversen dümmlichen Sprüchen in einem seltsamen Kauderwelsch aus allen möglichen Sprachen. Meine Neugier war geweckt, ich betrat den leeren Hof, wo hinter der vorgelagerten Biertheke ein nicht mehr ganz junger Hippie hockte und im Rhythmus psychedelischer Klänge, die aus einer mächtigen Stereoanlage kamen, hin und her schwankte. Er war so gut wie hinüber, und die Ecke roch nach gutem Pot. Ich versuchte, den Mann anzusprechen, kam jedoch nicht gegen die mannshohen Lautsprecher an. Ich machte mehrere Anläufe, als Antwort sah ich jedoch nur die Mundbewegung, ohne auch nur ein Wort davon zu hören. Der sinnlose Krach machte mich erst nervös, dann wütend. Das Pilgersein ist ja ansonsten fast lautlos. So schrie ich aus Leibeskräften dem Typen ins Ohr, er möge doch die Musik leiser stellen. Er verstand, doch winkte er ab. Also ging ich wieder und erfuhr nie das Geheimnis der tschechischen Herberge in Boadilla.
    Die nächste Herberge empfing mich zur Abwechslung mit den Klängen von Mozart. Sie gehörte, glaube ich, einem Engländer. Es war ein aufwendig renovierter kleiner Bauernhof hinter einer niedrigen Steinmauer, hatte nun einen schönen grünen Innenhof mit Schwimmbecken, an dem sich junge Frauen die Sonne auf den Pelz brennen ließen. Wie im Urlaub, mit spitzen Schreien über dem Strand. Es war eine deutliche Qualitätssteigerung im Vergleich zu dem bekifften Tschechen, wovon auch die gute Belegung zeugte. Also ließ auch ich mich hinreißen und checkte ein. Es gab sogar eine eiskalte Limonade und einen Sessel zur Begrüßung. Genau das, was sich ein Wanderer an einem heißen Tag nur wünschen kann. Doch innen sah es genauso wie überall sonst aus. Wo früher der Schafstall stand, gab es nun zwei

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