Bis ans Ende der Welt
niedrige Gemeinschaftsräume mit Stockbetten für etwa sechzig Schläfer und nur ganze vier Duschen. Die waren im Augenblick leer. Ich spülte Staub und Schweiß hinunter, wusch die Wäsche und verzog mich wieder nach außen, um mich dort bei einer Flasche Wein zu regenerieren. Ich nippte an meinem Glas und rechnete auf: Ein richtiges, sattes Grün wie zu Hause. Im Hintergrund ein Plastikschwimmbecken im tiefen Blau. Rubinrotes Feuerwerk im Weinglas. Der blasse spanische Himmel irgendwie gelb, vermutlich vor Neid auf das blaue Schwimmbecken. Moderne Kunstskulpturen aus braunrostigem Eisen in unregelmäßigen Abständen auf dem Rasen und in den Ecken, die wohltuend mit den rotbraunen Steinen und grauen Holzbalken der Fassade harmonierten. Davor schwarze, rote und weiße Bikinis und die Rosaklänge von Mozart. Heute erquickte mich der Herr mit Farben.
Die Hälfte des spanischen Camino lag hinter mir. Mehr oder weniger. Der Weg und die Leute inspirierten wenig. Die Landschaft war eintönig, ihre Geschichte blutig, das Klima widerlich, die Kirchen zu, die Einheimischen verschlossen, die Pilger meist Proleten wie aus einer Fernsehshow. Mehrheitlich Deutsche. Kamen mit Flugzeug, fuhren mit Bus und Taxi, füllten die Bars und wußten alles. Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Frührentner, Studenten. Erlebnissuchende. Machten sich hier einen billigen Urlaub. Alles war schön, super, no problem , geil! Jeder möge doch auf seine Fasson glücklich werden. Doch die Toleranz war nur aufgesetzt. Unsicherheit, Mangel an Werten und Phantasie, Hörigkeit und Unkenntnis anderer Kulturen staken dahinter. Es zehrte an meinen Kräften und meiner Demut. Der Herr war nicht bei mir, zog mit mir nicht mit in die Schlacht. Um acht Uhr ging ich schlafen. Um Mitternacht kehrte die deutsch-slowenische Frauengruppe von nebenan angeheitert aus der tschechischen Kneipe zurück. Die Damen knipsten das große Licht an, weckten alle und redeten sich kichernd gemütlich ins Schlaf. Vorher jedoch noch alles für den morgigen Tag vorbereiten. Großes Tütenrascheln. Muß ja sein, wenn man früh losgeht. Man ist ja unter sich. Sie fielen mir schon am Abendtisch auf, als sie sich laut und gewichtig über Autos, Jobs und Frauenkram ausließen. Das Leben der Toten. Sie waren nicht darauf erpicht, ermahnt zu werden. Ich solle keine miesen Schwingen verbreiten, meinten sie keck, das gehöre sich nicht für den Pilger. Ja, der Geist des Camino, der war hier allen heilig.
Doch auch aus einem anderen Grund ruhte ich in dieser Nacht nicht gut. Vermutlich durch die leckere Limonade, die man uns bei der Ankunft servierte, holte ich mir eine Erkältung. Damit befand ich mich in guter Gesellschaft. An so einer eiskalten Limonade, die er nach einer hitzigen Landpartie hinunterstürzte, starb in Burgos im Jahre 1506 Philipp der Schöne, der Gatte Johannas von Kastilien. Damals weinten alle Mädchen, und Johanna wurde wahnsinnig.
Carrión de los Condes, km 2434
Ich verließ am Morgen wie üblich spät das Haus. Es ging mir mies, vermutlich hatte ich Fieber. Vor dem Eingang lungerte eine junge Engländerin, die sich gleich mit mir auf den Weg machte. Es sah fast so aus, als ob sie auf mich gewartet hätte. Ein schöner Gedanke, wenn einer wartet, aber ich kannte sie nicht. Pep wie Philippe, etwas spröde und eigenwillig, doch auch klug und anregend. Auch hübsch, was Engländerinnen oft nicht sind. Marschieren wußte sie wie Sir Hilary auf dem Weg zum Mount Everest. Niemand ist halt so gut zu Fuß unterwegs wie die Engländer, das mußte ich immer wieder feststellen. Dank meiner geschwächten Kondition hatte ich etwas Mühe, Schritt zu halten, aber das interessante Gespräch lenkte von meinen kleinlichen Beschwerden ab. Architektin von Beruf, arbeitete sie in Frankreich als Denkmalschützerin, stammte jedoch aus Cornwall. England ist für die Franzosen kein gutes Land, davon konnte ich mich selbst überzeugen, doch umgekehrt fühlen sich Engländer in Frankreich wohl. Ob sie dort deshalb hundert Jahre Krieg führten? Oder auch andersherum. Es waren die kontinentalen Normanen, die wegen einer vorenthaltenen Belohnung 1066 in der Schlacht bei Hastings die englischen Sachsen schlugen und dort die Herrschaft übernahmen. Somit stammten die Engländer eigentlich aus Frankreich und hielten es nur für legitim auch die französische Krone zu beanspruchen. Es dauerte von 1337 bis 1453, bis diese Frage einigermaßen geklärt werden konnte. Falls überhaupt. Womöglich sind
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