Bis ans Ende der Welt
meditierte, rüttelte mich energisch ein dort Wache schiebender Fellache auf, ich wolle doch „Bitte!“ woanders hin schlafen gehen.
Aber hier fühlte ich mich genau richtig. Ein heiliger Ort, Ziel der Pilger. Gestern bat ich telefonisch Pater Benedikt, Gunther war nicht zu erreichen, für mich im Kloster ein Zimmer zu reservieren. Von Benediktiner zu Benediktiner, sozusagen. Ich wollte ja direkt an der Quelle lagern, nicht irgendwo in einem verschlissenen Touristenbett, und freute mich schon auf die lateinische Vesper. Das erzählte ich an der Pforte gleich dem herbeigerufenen Gastpater, da ich dachte, es werde ihn freuen. Seltsamerweise aber machte es ihn eher verlegen. Es habe ja tatsächlich jemand angerufen, habe aber keinen Namen genannt. „Ein Kloster, und was machen sie dort? Aber für Jakobspilger ist natürlich immer ein Zimmer frei.“ Ich war beruhigt. Es war typisch Pater Benedikt. Man konnte ihm nicht böse sein. Vermutlich nahm er an, daß einem Jakobspilger in Einsiedeln auch so alle Türen offen stehen werden. Und in der Tat, es gab ein Zimmer mit acht Betten, manche davon sogar frisch bezogen. Auch eine Dusche mit Toilette gab es auf dem Gang. Und die Frau an der Pforte meinte, das sei mit Abendessen und Frühstück für fünfundzwanzig Franken eine ausgesprochen günstige Gelegenheit, billig unterzukommen. Nun wurde ich gleich weiter ausgeforscht, ob ich denn in meinem Kloster auch mit den Brüdern im Refektorium essen dürfe, ob ich mit ihnen in der Klausur wohne, und was ich dort mache. Es kam mir etwas seltsam vor, aber es stellte sich heraus, daß hier eine Gasthierarchie herrscht. An erster Stelle waren die Benediktiner und andere Mönche, an der zweiten die Hausgäste und an der letzten die Jakobspilger. Diese hatten keinen Zugang zum Chor und Refektorium, beteten und aßen sozusagen mit dem Personal. Und sie hatten zu bezahlen. Also wurde genau geprüft. Etwas peinlich war es, und ich hätte auch ohne sein können, doch der Stein rollte schon.
Zunächst dürfte ich mit in die Vesper. Zur festgesetzten Zeit suchte ich den mir avisierten Gang auf, wo es bereits recht voll war. Der heilige Benedikt meinte, dem Kloster sollten Gäste nie ausgehen. Aber das hier war schon eine greifbare Menge, die zu unterhalten, bestimmt nicht billig kam. Meist ältere Herren mit Sakko und Krawatte. Lehrer, Beamte, pensionierte Priester, christliche Autoren, verdiente Künstler. Die meisten sahen aus, als ob sie das Hausgastprivileg wohl zu schätzen wüßten. Einer aber raunte mir ins Ohr, die Kroaten seien gefährlich, und man hätte sie nicht kommen lassen dürfen. Vorsichtshalber stimmte ich zu. Während dessen wurden wir vom Gastpater angewiesen, in der Vesper nicht etwa mit zu singen, der Pater Kantor wünsche es nicht. Enttäuschend, aber auch verständlich. Auch Singen will gelernt sein. Dann wurden wir durch mehrere Gänge zur Kirche geführt und standen stumm vor den aufgeschlagenen Brevieren, bis die Vesper vorbei war.
Wer den ganzen Tag auf den Beinen verbringt, liebt nicht das bloße Herumstehen. Bald tat mir alles weh, und die verschmähte Kirchbank vor dem Gitter schien plötzlich sehr attraktiv. Vielleicht war das Arrangement, die Pilger draußen zu lassen, gar nicht so verkehrt. Aber ich hielt aus, und wir wurden ins Refektorium geführt. Weiße Tischtücher, feines Besteck, Wein- und Wasserkaraffen in großer Menge. Die Gäste waren vorläufig noch unter sich. Ich suchte mir eine, wie es mir schien, unbedenkliche Stelle, doch wurde sogleich zur Ordnung gerufen. Ein Herr aus Luxemburg forderte auf Französisch seinen Platz ein. Es klang undiskutabel. Und in der Tat standen überall schicke Namensschilder. Wohin nun? Die Reihe rückte sofort dicht zusammen, das Kinn erhoben, die Hände gefaltet, zum Gebet bereit. Man wartete nur auf das Zeichen, das Zeichen aber wartete auf mich, und wo stand ich? Wenn du zu einer Hochzeit eingeladen bist, such dir nicht den Ehrenplatz aus. Denn es könnte ein anderer eingeladen sein, der vornehmer ist als du, und dann würde der Gastgeber, der dich und ihn eingeladen hat, kommen und zu dir sagen: Mach diesem hier Platz! Du aber wärst beschämt und müßtest den untersten Platz einnehmen. Wenn du also eingeladen bist, setz dich lieber, wenn du hinkommst, auf den untersten Platz; dann wird der Gastgeber zu dir kommen und sagen: Mein Freund, rück weiter hinauf! Das wird für dich eine Ehre sein vor allen anderen Gästen. Denn wer sich selbst erhöht, wird
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