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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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obwohl das erste längst alle war, und ich noch reichlich Durst hatte. Auch sonst versuchte ich mein Bestes in prunkloser Unterhaltung mit den Damen. „Sagen Sie es auch daheim in Deutschland, wie wir sind,“ forderte mich der Gruppenleiter freundlich am Ende auf. Ich versprach es. Ich war der dankbare Empfänger. Ich wußte es, sie wußten es. „Sagen Sie ruhig die Wahrheit. So sind wir, wir Schweizer.“
Einsiedeln, km 517
    Am Morgen war es wieder kalt und unfreundlich. Wie jeden Tag, was sonst. Heute sollte ich über den 950 Meter hohen Etzelpaß nach Einsiedeln kommen. Wieder ein Benediktinerkloster. Ich freute mich schon. Vorläufig trank ich noch Kaffee vor der Scheune und schaute der Zwergziegenkolonie beim Spiel zu. Ein Böckleein besetzte ein kleines Baumhaus, zu dem eine Art Laufsteg führte, und stieß die anstürmenden Kollegen hinunter. Das fiel ihm leicht, da er festen Stand hatte, während der Laufsteg schmal und rutschig war. Man sah es ihm auch an, daß es sich dabei gut amüsierte. Seltsam nur, daß es nach einer Weile diese vorzügliche Stellung — offenbar freiwillig — mit einem Kollegen tauschte und in die Schar der Heruntergestoßenen wechselte. Ziegen sind wohl doch keine Menschen, mögen sie sich auch manchmal den Anschein geben.
    Ich machte mich auf den Weg, überwand zügig den Anstieg zum Paß und freute mich an der Landschaft und den Denkmälern. Die gab es wieder. Während auf der anderen Seite des Züricher Sees noch intensive Milchwirtschaft herrschte, wurde hier alles zunehmend ruhiger und erhabener, je näher man an den berühmten Wallfahrtsort herankam. Am Paß steht eine Kapelle, die Sankt Meinrad gewidmet ist. Der Mönch lebte hier im neunten Jahrhundert, bevor er nach Einsiedeln weiter zog. Dort wurde er später von Räubern erschlagen, aber zwei Raben verfolgten diese bis nach Zürich und verpfiffen sie bei der Polizei. Gute Heiligengeschichte. Einige steile Abhänge weiter quert romantisch eine holzüberdachte Steinbogenbrücke aus dem Jahr 1699 die Sihl. Teufelsbrücke, heißt sie ganz passend. Im Haus daneben wurde nämlich im Jahre 1493 der berühmte Arzt Paracelsus geboren. Hier muß seit eh und je jeder Pilger durch. Da kommt er auf seine Kosten. Ich konnte in aller Ruhe in den gähnenden Schlund schauen, während ein Regenguß hinein stürzte. Einen zweiten nützte ich zur Mittagspause in der Galgenkappelle. Ein Ort der Gewalt, der zu Demut und Besinnung bewegt, doch auch weite, freie Sicht bietet. Vielleicht wußten es die hier Gehängten noch zu schätzen. Zum Schluß steht kurz vor Einsiedeln die Gangulfskapelle gar aus dem Jahr 1030. Das älteste Haus in der Gegend. Einst führte der Camino direkt durch diese Kapelle hindurch. Und dann, als Höhepunkt, das Kloster Einsiedeln. Ein imposanter, massiver Barockbau aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Doch noch bei der Weihe der ersten Kirche im Jahre 948 soll Christus „mit mehreren Engeln“ erschienen sein.
    Ein ehrwürdiger Tag. Vom weiten konnte ich schon die Glocken läuten hören, als ich um Mittag vom Berg hinunterstieg. Es war heute ein kurzer und ein kurzweiliger Marsch. Auch andere Pilger strebten dem Wallfahrtsort zu. Ich traf sie unterwegs im Wald, wo sich der von Konstanz führende Schwabenweg mit dem von mir begangenen Appenzeller Weg vereinigt, und später noch an der Galgenkapelle. Darunter gab es sogar ein paar harmlose Radler. Doch gleich dreitausend Kroaten wurden an diesem Sonntag zu einer Prozession erwartet. Gigantisch. Es schien eine erwartungsvolle Spannung über dem Ort zu liegen. Jedenfalls fühlte ich mich so, daß ich gleich in die Kirche ging. Mit Stab und Rucksack, der Herr wird’s verzeihen. Nach außen streng, kam sie mir innen richtig gemütlich vor, zu Andacht und Meditation einladend. Obwohl sie gut gefüllt war. Aber im Gegensatz zu anderorts benahmen sich die Menschen sehr rücksichtsvoll, ja eben andächtig. So, als seien sie tatsächlich in einer Kirche, an einem heiligen Ort. Ehrlich gesagt, fürchtete ich mich schon ein wenig davor, auch hier den üblichen Horden von halbnackten Russen und anderen Asiaten in angeregtem Gespräch über Sonderangebote zu begegnen. Sie machen heutzutage fast alle berühmten Kirchen unpassierbar. Das nennt man dann „florierenden Tourismus“ und „Interesse an dem europäischen Kulturerbe“, und viele verdienen sich an diesem Humbug satt. Und dann kommen noch welche und wollen in Ruhe beten? Als ich einmal im Kloster Sinai in der Kapelle

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