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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Das Ganze war von einer auffällig hohen Holzpalisade umgeben. Raffiniert ausgedacht, doch der Sinn ist mir unklar geblieben. Eine kleine Gesellschaft feierte darin mit Wein und Antipasti. Das Ding war einfach zu originell, um daran achtlos vorbeizugehen, so beschlossen wir trotz aller Müdigkeit, es zu besteigen. Die Rucksäcke ließen wir einfach unten liegen. Ich witzelte, daß sie sich, bis wir zurückkommen, womöglich vermehren könnten, was Christoph etwas beunruhigen schien. Schließlich war es bis auf weiteres unser ganzer Besitz. Wir stiegen hoch und stellten fest, daß es außer Bäume nichts zu sehen gab, aber wir sahen uns trotzdem alles genau an, wenn wir schon einmal da waren. Wieder unten angekommen, war die Gesellschaft, die zuvor keine Notiz von uns zu nehmen schien, bereits gegangen. Doch neben dem Gepäck stand eine große, noch verschlossene Flasche Limonade. Ein netter Willkommensgruß unter Wahrung der Schweizer Zurückhaltung und ein großer Fortschritt gegenüber der alten Zeit, als in den Wäldern des Jorat noch Räuber über die Pilger herfielen.
    Ohne diese Stärkung wäre uns der steile Abstieg nach Lausanne vielleicht noch bitter lang vorgekommen. Christoph gab sich gelassen, war es aber nicht. Es war schon fast neun Uhr Abend, der Anpfiff des Fußballspiels stand unmittelbar vor. Seine Weltsicht schrumpfte zusehends zu einer großen Leinwand am Seeufer zusammen. Aber wo waren wir und wo das Seeufer. Wie hätten wir wissen sollen, daß die Stadt nicht direkt am See liegt, sondern bestimmt noch fünf Kilometer davor. Christophs Schritt wurde immer länger und schneller, aber es half nichts. Fünf Kilometer Entfernung bedeuten für einen Rucksacktouristen eine Stunde Marsch. Ich konnte seine Qualen nicht mehr ansehen. Drei Minuten vor neun Uhr deutete ich auf ein echt vornehmes Restaurant und schlug vor, es dort zu versuchen. Christoph lachte in seiner Not bitter auf, hier mußten wir in unseren verschwitzten Klamotten doch wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge wirken. Er war aber bereit, es auf einen Versuch ankommen zu lassen – wenn er nicht zu lange dauere. Mir schien die Lage günstig: Kaum Gäste, großer Flachbildschirm und Fußball darauf. Außerdem habe ich keine Hemmungen in solchen Sachen, seit ich als armer Student zwecks Geldbeschaffung Staubsauger der Firma Vorwerk verkaufte. Ich war gut darin. Ich marschierte also leger ins Restaurant und fragte den italienischen Pate im kolloquialen Ton, ob unsere Erscheinung an diesem Abend nicht zu geschäftsschädigend sei, und deutete auf Christoph, der draußen von einem auf das andere Bein trat und den Himmel lässig zu betrachten vorgab. Es war dann sofort klar: Diesem Pilger zu helfen, ist Christenpflicht, er würde es sich nie verzeihen, sollte er jetzt und heute das Spiel versäumen. Und so kam Christoph zu seinem Fußball, und wir beide zu einer guten Mahlzeit, aber es war alles umsonst, denn auch die Deutschen haben gegen die Türken verloren. Nach Verlängerung, wie sonst. Eine Leinwand am Seeufer gab es, wie ich später erfahren habe, gar nicht, und selbst Christoph konnte nicht mehr erklären, wie er auf diese Idee kam.
    Es muß um die Mitternacht gewesen sein, als wir das Lokal verließen und nun auch noch einen Schlafplatz benötigten. Christoph hatte schon eine Lösung. Sie war die alte und hieß „Schulhof“. Wo aber nun plötzlich und auf die Schnelle einen Schulhof auftreiben? Es war heute wirklich nicht einfach mit Christoph, aber ich beschloß, ihn nicht zu enttäuschen. Die Universität war gleich um die Ecke, dorthin führte ich ihn, und siehe da, es war ein Volltreffer. Rasen, Bänke, Springbrunnen, Teiche auf mehreren Ebenen mit verwinkelten Ecken, alles dunkel und menschenleer. Christoph ließ sich nicht zweimal bitten und verschwand irgendwo, um die Privatsphäre zu wahren, ich suchte noch eine Weile nach einer geeigneten Bank und Badegelegenheit. Und es wäre bestimmt alles gutgegangen, wären mir nicht in der vorherrschenden ägyptischen Finsternis beim Auspacken zwei Konserven entwischt. Sie flüchteten über eine naheliegende Fußgängerbrücke, stürzten sich hinunter auf den Betonboden eine Ebene tiefer, was sich wie Salutschüsse anhörte, und rollten dann ungeniert sehr geräuschvoll weiter in Richtung Seeufer. Das wiederum führte dazu, daß kurze Zeit später, ausgerechnet während meines Bades im Teich, eine junge Frau mit der Taschenlampe aus dem Fenster im ersten Stock leuchtete und laut

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