Bis ans Ende der Welt
suchten dann im wilden Urwaldgestrüpp nach der Kappelle, was mich wegen der borstigen Lianen und düsterer Stimmung stark an den Film „Die Jagd nach dem verlorenen Schatz“ erinnerte. Auch die moosbewachsene Kapelle sah von außen durchaus imstande, den verlorenen Indianergoldschatz des Christoph Columbus zu beherbergen, und ich sah mich unauffällig um, ob nicht irgendwo der Indiana Jones herumlungern würde, mit dem abgewetzten ledernen Waffengurt und der grimmigen Parabellum P08 darin. Aber dem war nicht so. Doch waren es an diesem Tage ganz und gar unübliche Orte, an die mich der Herr führte, wozu später noch auch eine Pumpstation kam, von welcher aus die Gegend mit Trinkwasser versorgt wurde, wie ein Bunker von drei Seiten mit Erde zugeschüttet und mit einer niedlichen Parkanlage rundherum. Beim Sonnenuntergang rasten wir zurück zu Barbecue mit Pferdesteaks und Wein aus dem gut sortierten Weinkeller, in dem jede Flasche gut und teuer schien. Und es kam, wie ich hoffte, daß es kommen wird, daß wir um Mitternacht noch ein Zimmer bekamen und sauber geduscht tief und komfortabel bis zum Frühstück schliefen. „Wenn ihr noch Durst habt, holt euch einfach was aus dem Weinkeller,“ sprach uns der Mann gut zu. Es war sehr leichtsinnig von ihm, aber wir waren zu müde, um noch den Weinkeller zu plündern.
Beim Frühstück am frühen Morgen frisch und munter aßen wir gut und reichlich. Selbstredend ging auch viel guter Käse über den Tisch, und ich bewunderte die Fähigkeit der Schweizer, immer und überall uneingeschränkt loyal zum ihrem Nationalprodukt zu stehen. Auch andere Völker verstehen sich auf Käse, Schwaben, Bayern, Italiener, Franzosen, Holländer oder Dänen, im Konsum dessen aber können sie nicht mithalten. In der Schweiz wurde mir Käse schon vor der Suppe serviert, dann in der Hauptspeise und schließlich als Nachtisch, zum Frühstück, Mittagessen und Abendbrot. Immer und überall Käse. Es fügte sich, daß der Sohn zurück vom Nachtdienst in der Kantonhauptstadt zurückkam und von einer großangelegten Razzia gegen die albanische Mafia berichtete. So etwas hört und liest man freilich gerne zum Frühstück, denn nichts ist schöner, als sich den Bauch vollzuschlagen und zu wissen, daß sich das Böse woanders Opfer sucht. Doch habe man die Festgenommenen später gleich wieder freigelassen, ihnen aber wenigstens gezeigt, das „wir uns nicht alles bieten lassen“. Von uns drei wagte niemand nach dem Sinn einer Aktion zu fragen, die lange im voraus geplant, gründlich vorbereitet und unter Gefahren ausgeführt wird, bei der alle Täter gleich wieder frei kämen. Aber wer würde an der Weißheit der Obrigkeit zu zweifeln wagen? Doch nicht wir! Trotzdem gefiel uns besser die Geschichte von dem gefaßten serbischen Einbrecher, der vom diensthabenden Polizeihund in den Oberarm gebissen wurde. Bravo, es lebe Rex! Wir kauten weiter an dem guten Käse, und die Staatsmacht ging zu Bett. Sie wachte ja die ganze Nacht über unseren Schlaf, daran gab’s nichts zu deuteln. Nun aber waren wir an der Reihe, stiegen rasch in den Peugeot und fuhren unangeschnallt ab. Darüber herrschte irgendwie Einverständnis.
Und so kam es, daß wir schon am Tagesanbruch auf dem düsteren Vorhof der romanischen Kirche in Payerne standen, uns umsahen und fragten, wie wir denn um Gottes Willen hierher gelangten, nachdem wir kaum vierzehn Stunden zuvor wie kleine Kinder in einem Volksmärchen verloren gewesen waren. Es dämmerte ein bleierner Morgen heran, ganz ohne Charme zog es modrig aus dunklen Ecken. Der braungraue, gedrungene Kirchbau kauerte über uns wie ein phantastisches Fabeltier. Eine gute Kulisse wohl zu den schwarzverhüllten Klageweibern, pleureuses (Heuler) genannt, die in der Gegend am Karfreitag herumziehen. Alle Pforten waren geschlossen, nichts rührte sich, nichts zog zum Verweilen an. So gingen wir ohne Reue und sprachen kein Wort, bis wir die Broye erreichten. Dem Flüßchen folgten wir dann stundenlang, berückt und frei, ohne Autos, ohne Menschen, ohne Zivilisation. Der Weg war nun kaum zu verfehlen, immer geradeaus das Ufer entlang, wieder zurück auf den sicheren Camino. Wir zogen still dahin und verarbeiteten Erlebtes. Auch hatten wir Oxidationsrückstände von mehreren Flaschen Wein rauszuschwitzen.
In Moudon, einige Stunden später, wäre laut Führer die aktuelle Tagesetappe eigentlich schon wieder zu Ende gewesen, doch machte Christoph keine solche Anzeichen. Statt dessen faselte er
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