Bis ans Ende der Welt
kaufen, es aufwendig in Stein, Holz und Glas renovieren und im Schatten der Libanon-Zeder auf den Engel des Todes warten. Ich würde, wenn sie es wollte, Elisabeth heiraten, mit ihr vier Kinder zeugen, sie aufziehen, und für den Herrn immer ein extra Teller auflegen. Ich würde es tun.
An diesem Morgen zogen wir also nach der Messe und dem Pilgersegen alle gemeinsam durch das große Tor in die Welt hinaus. Elisabeth sorgte gleich für Abstand zu den anderen durch den Erwerb eines massiven, nicht ganz billigen Pilgerstocks, dann kaufte ich Brot und Käse ein, dann verloren wir Joanna und dann den Weg. Beides fanden wir wieder, als ich den Versuch aufgab, uns in eine völlig falsche Richtung zu führen. Ich vertrat meine Irrtümer mit Eifer, aber die Mädchen hörten einfach nicht auf mich. Es ersparte mir die Blamage. Kaum war der Stadtrand erreicht, zog der Camino schon steil an. Vielleicht gar zu steil. Es waren gute siebenhundert Höhenmeter, die es heute zu überwinden gab. So manchem Pilger vergraulte es die Freude an dem schönen Aufbruch. Bald schleppten sich einige, die unten in der Stadt noch flott und fröhlich an uns vorbeizogen, keuchend dahin, andere lehnten sich — blaß um die Nase — an die Böschung. Elisabeth aber trabte leicht wie ein Fohlen, so daß ich und Joanna echt Mühe hatten, unsere eigene Blässe zu kaschieren. Ich war zwar nicht bereit, mich von einem zwanzigjährigen Mädchen so einfach in den Schatten stellen zu lassen, sah aber die meiste Zeit nur kleine rote Staubwölkchen an ihren Fersen. Also hielt ich mich fürsorglich an Joanna und Stephanie, und wenn Elisabeth dann anhielt, um nach ihrem Befinden zu fragen, zog ich mit gleichem Tempo an ihr vorbei, übernahm die Führung und bremste sie vorsichtig aus.
Den langen Pilgerzug gänzlich zu passieren, dauerte allerdings Stunden. Es waren so viele Menschen, daß es praktisch unmöglich war, zum Pipi , wie es die Franzosen nennen, auszutreten. Die Gegend war wenig bewachsen, alles nur Gras und Steine, dazwischen ein paar Büsche. Es erinnerte mich an die afrikanische Steppe, wo man in gleicher Lage wegen der Raubkatzen und anderem Getier ständig sprung- und alarmbereit über die Schulter spähen mußte und sich dabei das eine oder andere Mal auch naß machte. Hier mußte man achtsam wie ein Fluglotse die Bewegungen der anderen verfolgen, wenn man das „kleine Geschäft“ nicht nur anfangen, sondern auch vollenden wollte. Die holde Weiblichkeit zog lieber weit in die Weide hinaus, wo es dann genügend Bodenlöcher gab, wo man jedoch nie vor den neugierigen Rindern sicher sein konnte. Diese hatten die Gewohnheit, das mit irdischen Dingen abgelenkte Opfer auszuspähen, es zu umzingeln und — einander anrempelnd und näher rückend — mit großen braunen Kulleraugen inbrünstig anzustarren. Wer könnte da noch? Auch hatte man zuvor den Hintergrund auf jeweilige ästhetische Qualität zu prüfen. Da man aus dem Loch nicht hinausschauen konnte, wußte man nie, wenn man sich erhob, um seine Kleider zu ordnen, ob in der Zwischenzeit nicht etwa eine neue Pilgergruppe ankam, und just in diesem Augenblick das Fotomotiv entdeckend ihre Kameras mit Lichtgeschwindigkeit abfeuerte. Später zog sich das Feld auseinander, doch Vorsicht war angesagt. Wo immer man sich befand, was immer man tat, es konnte jede Sekunde wie aus dem Boden geschossen ein Pilger auftauchen und freundlich grüßen.
Unmittelbar nach Le Puy gab es nun es etwa alle sieben Kilometer Übernachtungsmöglichkeiten. So mußten Schwächere nicht darben und gleich am ersten Tag alle ihre Kräfte aufbrauchen. Das aber galt nicht für uns. Die Mädchen waren stark und motiviert, ich durch den einen freien Tag erstaunlich gut erholt. Diese Erfahrung machte ich jedesmal. Der Körper überwand an nur einem Ruhetag alle Erschöpfung. Trägheit und Depression verschwanden wie verzaubert, Wunden heilten ab. Zu Mittag verbrachten wir, jeder auf seine Art faulenzend, gute zwei Stunden im Garten eines verlassenen Bauernhofes inmitten der wild wuchernden Wiesen. Das sollte für uns nun zu fester Tagesordnung werden. An den schönsten Plätzen hielten wir unser Mittagslager ab, lasen, schliefen, ließen uns von der Sonne bräunen oder was immer, als ob uns der Camino gar nichts anginge. Ich hatte eine glückliche Hand, solche Plätze zu finden. Manchmal luden wir die eine oder andere sympathische Person ein mitzumachen, aber man lehnte stets ab. Die Pflicht rief. Wir aber wurden deshalb
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