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Bis ans Ende der Welt

Bis ans Ende der Welt

Titel: Bis ans Ende der Welt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vladimir Ulrich
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Rucksack war entschieden zu schwer. Aber sie war sehr tapfer. Nun genoß sie mit uns die lange Siesta. Elisabeth raffte sich endlich auf und suchte telefonisch, eine Übernachtung für uns zu organisieren. Diesmal ganz ohne Erfolg.
    Als wir dann schließlich um sechs Uhr in Aumont-Aubrac eintrafen, wurde da gerade die Messe angeläutet. So sind wir gleich, wie wir waren, verstaubt und verschwitzt, in die Kirche. Für Elisabeth und mich war das eine willkommene Selbstverständlichkeit. Auch der Herr ging mit. Nichts sei dem Gottesdienst vorzuziehen, schrieb der heilige Benedikt, und ich freute mich, daß ich tatsächlich nichts zum Vorziehen hätte, und daß es Elisabeth auch so empfand. Eine Gruppe junger Pfadfindermädchen in blauen Uniformen und Baretts sang wie ein Engelschor, und die Kirche aus dem 12. Jahrhundert schien die richtige Kulisse für den gregorianischen Gesang zu sein. Die Seele war übervoll, und Sissis braune Augen glänzten wie Sterne, wenn sie mich ansah. Es war eine der schönsten Messen meiner Pilgerschaft. Erst später erfuhr ich, daß sie völlig improvisiert war. Abgehalten wurde sie von einem Priester, der mit seinen zwei Neffen für eine Woche auf dem Camino unterwegs war. So waren es auch die Pfadfinderinnen, und die Gemeinde bestand aus Pilgern oder zufällig vom Glockengeläut angelockten Einheimischen. Nebenbei, zum Brudergruß gibt man den Herren in Frankreich wie bei uns die Hand, aber die Frauen küßt man auf beide Wangen.
    Und der Herr öffnete seine Hand und der örtliche Pfarrer sein Versammlungshaus, und wir alle kamen dort für diese Nacht gratis unter, wenn auch nur im Schlafsack auf dem harten Parkettboden. Und wir legten unsere Vorräte zusammen, und was nicht reichte, ergänzte der Küster, und alle wurden nicht nur an diesem Abend, sondern auch noch am nächsten Morgen satt. Und damit wir auch nicht durstig ins Bett gingen, machte der Weinhändler schnell den Laden auf, und auch da hatten wir alle genug, bis uns Abbé Robert, der Pfarrer, mit strengem Blick auf die fünf leere Weinflaschen auf dem Tisch zur Mäßigung mahnte und zu früher Stunde schlafen schickte. Es war unglaublich. Elisabeth rief am Mittag alle nur erdenklichen Stellen im Umkreis von dreißig Kilometern an, alles umsonst und vergeblich. Nun hat sich alles zum Guten gekehrt. Und je später es wurde, so wurde auch das Haus voller und voller, bis jeder Zentimeter Boden mit frohen Pilgern belegt war. Wo hätten sie denn alle die Nacht verbracht?
Nasbinals, km 1422
    Ich kann, wenn müde, unter vielen Umständen schlafen, ein harter Parkettboden hält mich nicht auf. Nur zum Einschlafen und in der Frühe brauche ich Ruhe. Hier aber läuteten um sechs Uhr schon alle Wecker, und eine französische Frauengruppe machte sich noch schlaftrunken aufs Packen. Wer die Alarme überhörte, wurde nun durch das Rascheln der Plastiktüten aus dem Schlafsack getrieben. Immer mehr Leute gaben den Versuch weiterzuschlafen auf. Am Ende auch ich, von der Notdurft getrieben. Doch vor der einzigen Toilette stand schon die ganze Pfadfindergruppe Schlange. Das war wohl der Preis des Engelgesangs und eine harte Geduldsprobe. Draußen dämmerte es langsam, der Kuckuck zählte die Jahre, die Temperatur betrug gerade sieben Grad. Es versprach, ein harter Tag zu werden.
    Zum Frühstück hatten wir ein Brotrest und einen schwachen Tee. Thomas nervte uns mit Sorgen über die fünf Flaschen Wein, die wir gestern zu sechst getrunken haben, und suchte bei uns Anzeichen eines Katers. Der Herr gönnte ihm jedoch nicht die Pharisäerfreude und schickte die Pfarrhaushälterin, um ihn beim Rauchen zu fassen. Rauchen in und um die Herberge war nämlich strengst verboten. Dann machte er in einem der Zimmer Morgengymnastik. Joanna wickelte für den Marsch das Knie in eine Plastikfolie, angeblich habe es ihr ein Arzt geraten. Mir schien das für den Marsch eher hinderlich. Es kam heute jede Menge merkwürdiges Verhalten auf uns zu, so daß wir erst mit gehöriger Verspätung loskamen. Wir waren die Letzten. Abbé Robert und seine Haushälterin standen auf der Treppe und sahen uns besorgt nach. Ich bat den Herrn für sie um Segen.
    Thomas und seine Bremer Freunde gingen voraus, ich und Elisabeth begleiteten Joanna, die nur ganz langsam vorankam. Am Anfang war sie noch guter Dinge, dann aber wurde sie stiller und stiller. Wenn ihr Knie zu sehr weh tat, weinte sie ein bißchen. Es brachte ihr Erleichterung. Ich sah die Tränen über die Wangen rollen

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