Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Nachzüglern auf keinen Fall den Segen vorentha l ten. Da wir nur zu zweit waren, und ich die Antworten nicht sicher auf Franz ö sisch wußte, mußte ich sie lateinisch geben. Andere Sprache ließ man nicht ge l ten, man ging kein Risiko ein, ich hätte ja wohl alles Mögliche schwatzen kö n nen. Die größte Überraschung aber war Joanna. Nicht nur war sie vor uns da und hielt für uns zwei Betten frei. Sie tat es mit absoluter Selbstverständlichkeit. Trotz ihres rückwärtigen Ausflugs und kranken Knies überholte sie uns auf der Autostraße, während wir oben auf der Klippe auf sie warteten. Sie machte nicht den Eindruck, als ob ihr etwas weh täte. Ja, sie sei in der Tat zurück gegangen, sie habe sich einfach geirrt. Sonst hatte sie keine Erklärung, und ich wollte nicht in sie dringen. Ich war froh, sie gesund und glücklich wiederzusehen. Auch M o nika und Lüdtke und sogar Stephanie waren schon da. Wir waren die letzten Nachzügler. Dadurch stürzte alles über uns ein, und wir hatten keine Zeit, uns zu wundern oder Dinge zu besprechen. Gleich nach der Messe gab es eine Hau s führung. Joanna sollte dabei für die Deutschen ins Englische dolmetschen. Sie sprach Englisch perfekt, da ihr Vater Amerikaner war. Aber irgendwie tat sie es nicht, und es hätte sowieso keinen Sinn, da die Bremer kaum ein Wort Englisch sprachen. Also übersetzte ich notgedrungen aus freien Stücken aus dem Franz ö sischen ins Deutsche, was einigermaßen gut klappte. Bis auf den Umstand, daß sich Sissi, Joanna und Stephanie vor Lachen kaum noch halten konnten. Später erfuhr ich, daß sie sich an einen Film erinnert fühlten, wo ein jüdischer Junge im KZ vortäuscht, Hebräisch zu können, um sich nützlich zu zeigen und nicht ve r gast zu werden, obwohl er eigentlich als Deutscher aufwuchs und kein Wort von der Sprache seiner Vorfahren kann. Da war ich aber ein wenig beleidigt, denn so miserabel war mein Französisch wiederum doch nicht, als daß ich eine simple Hausführung nicht verstanden hätte. Außerdem war das mit dem Jungen ein echt schwarzer Humor.
Golinhac, km 1489
Alles in diesem Gîte wurde gemeinschaftlich getragen, das Gebet, die Mahlze i ten, die Arbeit. Die Mitglieder opfern etwas Geld und ihren Urlaub, um in einer der zahlreichen Herbergen der religiösen La i engemeinschaft Dienst zu tun. Es eri n nerte mich bißchen an das Motto die Benediktiner: Ora et labora . Es gefiel mir, daß man auch die Pilger wie selbstverständlich in allem mit einbezog und nicht einfach verwildern ließ. Auch wenn der heilige Benedikt über pilgernde Mönche wettert und von ihnen Stabil i tas verlangt, so ist doch der Pilger der Stärkere im Glauben, da er viele Entbe h rungen auf sich nimmt. Freilich trift man auf dem Camino auch Lustwanderer, Leute, die keine religiöse Motivation h a ben. Hier auf der Via Podiensis waren sie wohl in der Minderheit. Sie suchten sich dann andere Herbergen, wo sie vom „Aberglauben“ ve r schont blieben, oder machten wie mein Freund Tom Jones gute Miene zum b ö sen Spiel. Aber der Camino mag auch für solche inspirierend sein, zumindest fordert er von ihnen, sich mit Glaubensinhalten auseinanderzusetzen, sei es auch nur aus Abwehr. U n ter dem Strich bleibt doch einiges übrig. Der Samen ist gelegt.
Ich wäre hier gerne länger geblieben, um mehr von der Spiritualität dieser Leute zu lernen, aber ich hätte die Mädchen aufgeben müssen. Das wäre mir schwe r gefallen. Und wie schon gesagt, der Fluß und der Pilger bleiben nicht stehen, fließen immerdar, bis sie das große Meer erreicht haben. Also machten wir uns wieder zu dritt auf den Weg, fotografierten noch ausgiebig auf der gotischen Brücke mit der Altstadt als Hintergrund und zogen weiter entlang des Lot auf einer einsamen Straße in Richtung Golinhac . Der Weg war ausgesprochen r o mantisch. Wegen Joanna plante Sissi auch diese Etappe sehr kurz. Wir allein würden sie leicht in knapp vier Stunden laufen. Sissi ließ nichts aus, um Joanna bei Laune zu halten. Deshalb wurden der gestrige Tag und seine Rätsel nicht weiter erwähnt. Das Gespräch drehte sich wieder um harmlose Mädchensachen. Ich konnte entweder vor oder hinter ihnen gehen und ab und zu auf etwas Sch ö nes oder Interessantes hinweisen. Die Mädchen begutachteten es dann angeme s sen höflich und engagiert und knüpften den Faden dort wieder auf, wo sie ihn durch meine Einmischung verließen. Wenn ich mich vernachlässigt fühlte, ve r suchte ich mir es nicht anmerken
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