Bis ans Ende der Welt (German Edition)
sofort neue Frauenbekanntschaften. Nicht vielleicht deshalb, weil ich mich für Frauen inte r essiert hätte, sondern weil es hier so viele pilgernde Frauen gab. Interessante r weise schienen sie, vor allem die ganz jungen und die älteren, mehr für spiritue l le Dinge übrig zu haben als die männliche Bevölkerungshälfte. Ich hatte also das Zimmer, das Bad und die Toilette als einziger Mann mit fünf jungen Frauen zu teilen, was mir doch etwas prekär vorkam. Ich glaube, sie merkten es mir an, so wie Frauen in dieser Hinsicht sehr begabt sind, und waren deshalb sehr lieb und zurückhaltend zu mir.
Dennoch zog ich es vor, nachdem ich meine täglichen Pflichten hinter mir g e lassen hatte, den Abend draußen in einem Café unter den historischen Arkaden zu verbringen. So etwas tat ich eigentlich nicht oft. Bei einem Pastis schrieb ich am Tagebuch, sah ab und zu in die Bibel, die ich stets bei mir trug, und be o bachtete die Menschen um mich herum. Auch der Herr saß dabei, so als ob er etwas bestellen wollte, was ein etwas drolliger Gedanke war, und sah dem Tre i ben auf dem Platz zu. Etliche Pilger, die ich vom Camino kannte, kamen vorbei, grüßten, trauten sich dann aber nicht an den Tisch des Herrn heran. Deborah sah ich nicht, um zu fragen, wo und wie sie untergekommen sei. Ich sinnierte da r über, daß sie eigentlich viel besser als ich zu den anderen Frauen im Zimmer passen würde, und daß ich wegen der Übernachtung eigentlich keine Sorge hätte haben müssen, denn der Herr behütete mich ja immer und überall auf meinem Weg und hätte es auch diesmal getan, egal ob die Herbergen voll waren oder nicht. Ich hätte mir es leisten können, großzügig zu sein. Statt dessen bewies ich wieder einmal Kleinmut. Nicht nur vor Deborah. Die fand bestimmt schon ein Bett, es war ja keine Wüste hier. Sondern vielmehr vor dem Herrn, ihm hätte ich einfach mehr zutrauen können und sollen, und er hätte mich nicht zuschanden kommen lassen. Der Herr aber gab nichts auf meine Gedanken und wies statt dessen freundlich auf ein Pärchen, das mir gegenüber auf der Steinstufe neben dem Eingang zur Bar saß. Die Frau, so um Dreißig herum, trug ein luftiges, vie l leicht seidenes Kleid mit einem auffälligen, ja fast schon ordinären Farbmuster. Sie schien mir etwas älter als der junge Mann neben ihr, ein attraktiver, musk u löser Typ mit einem prägnanten, ausdruckstarken gallischen Gesicht. Wie eine gespannte Stahlfeder war er, eine geballte Ladung an Energie und Lebensfreude. Die etwas hochgekrempelte Hose, das kurzarmige Hemd, die Mokassins auf den nackten Füßen, alles war völlig abgetragen, und doch sauber. Beide tranken sie Bier gemeinsam aus nur einer Flasche, doch etliche leere füllten bereits den kleinen Tisch vor ihnen. Sie kommunizierten mit ungewöhnlicher Aufmerksa m keit und Intensität miteinander, so als ob jedes Wort, jedes Lachen, jede Han d berührung die ultimativ letzte in ihrem Leben wäre. Sie waren so sehr präsent, hier und jetzt, daß man annehmen könnte, sie sähen nur sich selbst. Doch die Frau, so immens stolz auf den schönen Mann neben ihr, sah immer wieder in die Runde, ob es auch alle sehen würden. Sie hatte einen Schatz gefunden und wol l te es alle wissen lassen. Sie unterhielten sich mit vielen Gebärden und Ausrufen ganz und gar agitiert über das Kino und sahen selbst aus, als ob sie gerade der Filmleinwand entsprungen wären. Und ich schlug die Bibel mitten auf und las: Ich bin gekommen, damit sie das Leben haben und es in Fülle haben. Ich bin der gute Hirt. [45] Und die beiden lachten auf und schlugen mit den Armen eine große Geste, und als ich mich umsah, war der Herr wieder gegangen, und so ging auch ich, denn ein Pilger soll zeitig ins Bett.
Nogaro, km 1852
In der Nacht hat es geregnet, was die Temperatur etwas hinunter brachte. Trot z dem brach ich schon um sechs Uhr auf, um vor der größten Hitze ein paar gute Kilometer zu machen. Außer dem hatte ich das Bad in aller Ruhe vor den vielen Frauen nur für mich. Entsprechend meiner männlichen Vorurteile dachte ich mir, sie würden viel Zeit für ihre Morgentoilette brauchen und das Bad blocki e ren. Brauchten sie aber nicht, nur ich war der umständliche Zauderer. Kaum saß ich dann am Frühstückstisch, waren sie auch alle da. Diese Leute bereiteten schon am Abend alles vor und machten sich am Morgen keine langen Umstä n de. Bis ich endgültig das Haus verlassen konnte, war es schon wieder halb leer.
Der Weg war heute
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