Bis ans Ende der Welt (German Edition)
ken als Gehirnnahrung. Aber ich fand nichts, was meinem Geschmack und me i nen Sprachfähigkeiten entsprochen hätte. Außerdem hatte ich noch die Bibel und das Kriegstagebuch vom Antoine de Saint-Exupéry, und mehr brauchte ich eigentlich nicht. Ich riß mich los und ging zum Flugplatz, um den kleinen Spor t flugzeugen aus nächster Nähe beim Starten und Landen zuzusehen. Der Herr, der ja ein Faible für das Herumsausen in der Luft hatte, startete und landete gleich mit, und unter seinem Schutz sah alles so harmlos und sicher wie an einer Fußgängerampel aus. Ich meditierte im Rhythmus der meist recht alten und ze r beulten Fluggeräte und verbrachte hier in völliger Harmonie und asketischer Sauberkeit eine spannende Zeit. Die Herberge mit ihren Fliesenböden, steriler Einrichtung und einem kreisrunden Schlafsaal zog mich nicht unbedingt an.
Dort aber herrschte bei meiner Rückkehr ein lebhafter Betrieb. Jedenfalls mehr als gewöhnlich. Es muß an dem Ort gelegen haben, dem die Kontemplation vö l lig abging. Das Haus war wie üblich voll bis auf den letzten Platz. Etwa die Hälfte der Pilger kannte ich bereits, einige neue kamen dazu, so etwa das ältere, deutschsprechende Ehepaar aus dem Elsaß, das die fatale Gewohnheit hatte, b e reits um drei Uhr früh aufzustehen und uns aus dem Schlaf zu reißen. Draußen war es um diese Zeit freilich noch völlig düster, und sie hatten wie zwei selts a men Höhlenforscher mit Stirnlampen zu marschieren. Da der Camino in Fran k reich recht verzwickt hin und her zieht, von Hecke zu Hecke, von Stein zu Stein, und man ziemlich genau auf die rotweiße Markierung zu achten hat, verloren sie in der ägyptischen Finsternis häufig den Weg, doch hatten sie auch keine He m mungen, per Mobiltelefon im Gîte oder sonstwo anzurufen, um sich nach dem richtigen Fortgang zu erkundigen. Für die nächsten drei Wochen hatte ich das Vergnügen, sie täglich so um die Mittagszeit zu überholen, weil sie extrem lan g sam dahinzogen. Es war schon einmalig zu sehen, wie sie sich unentwegt ang e regt über etwas unterhielten, dabei immer wieder in der Hitze des Gesprächs für eine Weile stehen blieben, als ob sie kein älteres, respektables Ehepaar wären, sondern zwei Jungverheiratete. Sie waren aus Metz, regelrechte Pilgerprofis und jedes Jahr auf dem Camino unterwegs. Sie fielen mir sofort auf, weil sie hier in dieser Herberge mit perfekt ausgestatteter Küche und einem luxuriös bestückten Supermarkt um die Ecke über einem Campingalutopf saßen und daraus eine dünne Suppe löffelten, anstatt sich einfach zwei nette Porzellanteller aus dem Küchenschrank zu holen. Eigentlich habe ich sie nie etwas anderes und auf eine andere Art essen sehen, und es ist mir bis heute rätselhaft, wie sie bei dem Ene r giebedarf, die der Camino einem abverlangt, mit Brot und Wassersuppe au s kommen konnten. Ich persönlich aß bestimmt das Dreifache von dem, was diese zwei seltsamen Leute zu sich nahmen, und nahm dabei noch stetig ab. All das irgendwie vorausahnend gab ich ihnen an diesem Tag scherzhaft den Spitzna h men Les Fous , die Verrückten, der sofort bei allen Pilgern griff und ihnen anha f ten blieb. Nichtsdestotrotz schlossen sie mich irgendwie ins Herz, verwickelten mich unterwegs oft ins Gespräch. Am Ende wurden wir gute Freunde, obwohl sie einander genug waren und andere mieden.
Aire-sur-l’Adour, km 1880
Nogaro blieb mir auch noch im Gedächtnis wegen der sehr bissigen Moskitos und des nicht weniger schlafstörenden Schnarrchens in der Nacht. Da es nur den einen großen kreisrunden Schlafraum für alle gab, stand keine Abhilfe zur Hand, als hinauszugehen und mit dem Herrn zu reden, was ich auch mehrere Male tat. Oder auch mit dem Maulesel der bretonischen Bauerntochter Angélique, der draußen im Park seine Runden drehte und mich mißtrauisch beäugte. Wohl ni e mand schlief in dieser Nacht sehr gut, und vermutlich weckte ich mit meinen Gängen noch mehr Leute auf. Aber es war nicht zu vermeiden. Es gäbe zwar für solche Fälle Ohrenstöpsel, aber damit könnte ich genauso wenig einschlafen wie mit einer Brille auf der Nase. Ich nehme an, daß es anderen ähnlich erging. Als dann Les Fous um drei Uhr den Wecker läuteten, um halb Vier mit Packen und Tütenrascheln fertig waren und endlich aufbrachen, schlief wohl überhaupt ni e mand mehr, und beim ersten Anschein der Morgendämmerung herrschte schon eine echt rege Aufbruchstimmung im Schlafsaal. Es kam mir vor, als ob alle ein wenig
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