Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Entfernung vorbeiging. Hinter all dem ragten grüngrau die Pyrenäen in die H ö he. Sie nahmen dem Himmel den Platz. Soweit ich noch Kraft hatte, stürmte ich das Dorf und irrte darin ein wenig herum. Es gab eine Kirche, ein Rathaus mit dem obligatorischen Gefallenendenkmal und einige Häuser. Alles war ve r schlossen. Es gab auch eine Kreuzung, doch keinerlei Weghinweise und, wie heute üblich, auch keine Menschen, um Auskunft einzuholen. Es war jedoch auch so ganz offensichtlich, daß ich hier falsch war. Aber die Sicht war fabe l haft. Ich wurde still und sah nur zu, denn mehr war da nicht zu machen.
Da trat ein Mann aus einem großen Garten auf mich zu und fragte mich, ob ich mich bei ihm nicht ausruhen möchte. Und ohne meine Antwort überhaupt abz u warten, führte er mich hinein, setzte mich an einen großen Tisch, rief sogleich Frau und Tochter herbei und bestellte Essen und Trinken für mich. Die Bibel ist voll von diesen Geschichten, wenn freundliche Menschen den Reisenden nicht weiterziehen lassen, bis er sich genügend bei ihnen ausruhte und für den We i terweg stärkte. Vergeßt die Gastfreundschaft nicht; denn durch sie haben einige, ohne es zu ahnen, Engel beherbergt. [50] In Rußland habe man vor der Revolution einen extra Gedeck beim Essen aufgelegt, sollte zufällig der Herr vorbeiko m men. Auch damals, als ich das letzte Mal in der Schweiz vom Weg abkam, schickte der Herr einen Helfer, der uns freundlich aufnahm und mit seiner Güte vollends erstaunte. So folgte ich dem Mann und wußte, daß der Herr wieder bei mir ist und ich auf seinen Wegen wandere, egal ob nach Süden, wie ich heute tatsächlich ging, oder nach Westen, wie ich hätte eigentlich gehen sollen. Er lenkte meine Schritte bis zu dem Garten dieses Bauern, der offenbar nichts be s seres zu tun hatte, als darauf zu warten, bis ich komme. Und ich wunderte mich laut, wie ich denn so fundamental verkehrt in einer völlig anderen Himmelsric h tung laufen konnte. Doch Monsieur Bourquet, so hieß er, lächelte nur sanft und meinte, der Herr hätte mich hierher geführt, um bei ihm zu frühstücken. Es sei nicht zum ersten Mal passiert. Zuletzt sei es ein deutscher Arzt gewesen, der im Leben seinen Weg verlor und später auf dem Camino wiederfand. Wie ihn, so habe auch mich der Herr geschickt, aus Gründen, die dem Menschen verschlo s sen bleiben.
In unserer ungläubigen Zeit ist das eine echt starke Aussage. Doch zweifelte ich keinen Augenblick an seinen Worten. Nur etwas schuldbewußt fragte ich mich, ob mich auf dem Camino überhaupt noch etwas erstaunen könnte, wenn der Herr so einfach mit ging und Purzelbäume schlug. Er hätte dazu sicher Me n schen auswählen können, die seine Gegenwart besser würdigen würden. Aber so war inzwischen meine Erfahrung, daß der Herr tut, was ihm gefällt, niemanden Rechenschaft ablegt und sich von uns Menschen in keine Schublade sperren läßt. Aber ich behielt es lieber für mich, um niemanden zu verunsichern. Die meisten nahmen den Herrn nicht wahr, auch wenn er daneben stand, manche merkten wohl was, wenn er plötzlich etwas sichtbares tat, und wurden unsicher. Aber dem Herrn leibhaftig zu begegnen? Ein absurder Gedanke. Es war kaum einsehbar, warum jemand mehr darüber wissen sollte. Der Herr ist und bleibt e i ne abstrakte Größe aus dem Katechismus. Bestenfalls. Hier aber traf ich jema n den, der wußte, daß der Herr in seinen Garten kommt, es zwar nicht ganz verstand, es jedoch ziemlich gelassen hinnahm. Tat doch der Herr nach seinem Willen. So erklärte er mir den Weg, gab mir sogar eine betagte Straßenkarte mit, um mich nicht wieder zu verlaufen, und schickte mich weiter, wie man einen zu kleinen Fisch wieder ins Wasser wirft, damit er dort seinen Lebenslauf volle n det. Merci, Monsieur Bourquet.
Alle Müdigkeit war wie verflogen, sobald ich wieder unterwegs war. Es ging über kleine, kurvenreiche Asphaltstraßen, rauf und runter, nach Nordwesten, wo ich irgendwo wieder auf den Camino treffen sollte. Der Wind pfiff hier um die Ohren, und der Himmel machte böse Gesichter. Aber ich war froh, denn der Herr war wieder da. Er ging diesmal auch nicht mit den Wolken fliegen, sondern hinter mir her und tat bescheiden. Vielleicht wollte er mir den Rücken stärken, damit ich nicht kleinmütig wurde. Dort, wo ich den Camino wieder erreichte traf ich sogleich auf einen deutschen Pilger und eine französische Pfadfindergruppe, alle ziemlich fertig vom Wind und Wetter und des Weiterwegs unsicher.
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