Bis ans Ende der Welt (German Edition)
unregelmäßigen Abständen standen riesige Strohhaufen, sauber aufgeschichtet wie Häuserblocks aus großen Quadern, wie sie aus der Packmaschine kamen, und harrten des Abtransports. Die Felder waren etliche Kilometer lang und genauso breit. Weizen stand hoch in Kurs an der Börse, und man würde Zeichen des Wohlstands erwarten. Aber die Ortschaften hier machten einen eher armseligen Eindruck. Der breite Scho t terweg, auf dem ich ging, war nicht für die Pilger gebaut, sondern dafür ausg e legt, große, tonnenschwere Erntemaschinen und Straßentransporter zu tragen. Pilger konnten hier zu sechst nebeneinander gehen, und Pilger gab es wie Fli e gen. Sie waren weit sichtbar und kamen mir vielleicht deshalb noch mehr vor. Seltsamerweise fehlten plötzlich die Radfahrer. Wo waren sie denn abgebli e ben? Dabei wäre es die ideale Rennstrecke für sie. Aber der Führer lieferte gleich die Erklärung. Es gäbe einen kulturhistorisch interessanten Umweg von sechsunddreißig Kilometern auf wenig befahrenen Asphaltstraßen über Caňas , San Millán de la Gogolla , wo aufregende Berge und Gebirgswälder winken. Wer mochte sich denn statt dessen auf einem langweiligen Schotterweg den Hintern platt klopfen lassen. Der Schotter schlug auf die Gelenke, aber die Ra d lerpause tat wohl. Nach einer Weile schien es mir, als ob nicht ich mich durch die Landschaft bewegte, sondern die Landschaft an mir vorbeizöge. Für einen Fußgänger ein seltsames Gefühl. Dies aber war nur eine kleine Kostprobe de s sen, was mich noch erwartete.
Da bot sich bald Abwechslung in Santo Domingo de la Calzada . Die Stadt ist uralt und geht auf eine Niederlassung des heiligen Domingo de Viloria im Jahre 1044 zurück. Er ließ da eine noch stehende Brücke über den Fluß Oja und ein Pilgerhospital mit einer beeindruckenden Fassade bauen. Viel zu gut für uns Pi l ger. Heute dient es als teuere Luxusherberge. Die gibt es in Spanien unter dem Begriff Paradero so ziemlich überall. Solchen Menschen, die sich paradiesische Zustände leisten können, sind sie unbedingt zu empfehlen. Für die Pilger ist es kein Verlust, da es für sie eine andere passende Wanzenbude gibt. Doch für die historischen Ruinen bedeutet der Umbau zum Luxushotel eine attraktive Re t tung. In dieser Hinsicht sind die Spanier bewundernswert. Wohl haben sie nicht genug Energie und Mittel, um das riesige Kulturerbe immer adäquat als Selbs t zweck zu pflegen und zu erhalten, doch sie lassen es auch nicht einfach verm o dern, sondern fügen dem statt dessen eine neue Bedeutung zu. Alles, was Tour i sten anzieht, ist willkommen. So auch das „Hühnerwunder“ von Santo Domingo. Der Legende nach habe hier ein Vater seinen zuvor zu Unrecht wegen Diebstahls gehängten Sohn bei seiner Rückkehr aus Santiago noch lebendig am Galgen baumelnd vorgefunden, was ihm der gerade zu Mittag speisende Richter freilich nicht glauben und mit zwei toten, da gebratenen Hühnern auf seinem Teller als kapitalen Unsinn begreifbar machen wollte. Der Sohn könne genauso wenig noch am Leben sein wie diese. Sogleich die zwei Kapaunen lebendig wurden und davon flogen. Die Geschichte ist spannend, exotisch und belehrend, und hat somit alle Attribute eines guten Märchens. Sie ist so populär, daß man auch anderorts davon Gebrauch macht. Hier aber hält man gar zwei gackernde Hühner in der Kirche. Dafür sind die Touristen auch gerne bereit, ein saftiges Eintrittsgeld zu zahlen. Wenn man Glück habe, würde man den Hahn bei der Messe schreien hören, hieß es. Ja dann! Darauf konnte ich aber getrost verzic h ten. Hühner auf dem Altar!
An die spanischen Provinzkirchen mußte ich mich sowieso erst gewöhnen. Sie mögen kulturhistorisch bedeutsam sein, doch riechen sie wegen ihres enormen Alters und mangelnder Lüftung meist feucht und muffig. Und nie kann man sich ganz sicher sein, was einen drinnen erwartet. Bis auf eine riesige hölzerne A l tarswand, die bis zur Decke reicht, wirken sie kahl und unfreundlich. Diese b a rocken Altarswände sind typisch für diese Gegend - überladen, vergoldet, voller Zierrat und Nischen mit allen möglichen Heiligenstatuen und Reliquien darin. Wirklich Wertvolles scheint es darin nicht zu geben. Das Argument also, man müsse die Kirchen wegen der Diebe verschlossen halten, ist wohl mehr eine Ausrede. Meist nahm ich das gelassen hin. Aber die Kathedrale hier in Santo Domingo ist berühmt und sehenswert, und ich hätte darin gerne Zeit verbracht und gebetet. Allerdings bin ich
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