Bis ans Ende der Welt (German Edition)
versteckte er seinen Scha t ten in dem meinigen, bis er sich in sicherer Greif- und Bißweite positionierte. Noch wartete er ein wenig, bis er sich ganz sicher sein konnte, daß das Opfer ganz arglos ist. Dann schlug er zu und leckte mit einem einzigen langen Zug dem völlig ahnungslosen Pilger lüstern die nach hinten gekehrte Handfläche ab. Die Wirkung war freilich enorm. Manche sprangen gleich einen Meter hoch in die Luft, während der Hund alle Anzeichen guter Laune zeigte. Kein Wunder, wenn man mich beschimpfte, zumal ich bald keine Reue mehr heucheln konnte und mich am liebsten vor Lachen mit dem Hund im Staub gewälzt hätte. Der Kerl begleitete mich bis zu einem Rastplatz, wo ich das Mittagslager aufschlug, war aber offenbar enttäuscht, weil es bei mir nicht viel zu teilen gab. Auf das kleine Stück alten Brotes und zwei Bissen billigen Käse war er nicht scharf, und ich konnte es ihm nicht verübeln. Großzügig überließ er beides einer wildernden Katze, die so heruntergekommen war, daß sie sogar das Brot fraß. Bald wurde es ihm zu langweilig, und er ging, um sich andere Opfer zu suchen. Noch Tage später erzählte man mir von einer zottigen Bestie, die in der Gegend den Pilgern auflauert. „La bête du Gévaudan!“ amüsierte ich mich laut. Es war gut zu hören, daß es meinem Freund gut ging und er noch Freude am Leben hatte.
Es gibt in allen Kulturen den Schelm, den Trikster, ein Wesen zwischen Gott, Tier und Mensch aus einer anderen Welt und Zeit, das jede Gestalt und jeden Ausdruck annehmen kann, der herumschleicht, um Menschen Streiche zu spi e len, den Urheber unerwarteten Schreckens und der Panik. Er trägt viele Namen - Pan, Faun, Maponos, Mag ind Óg, Hanuman, Coyote, Brer Rabbit, Anansi, E s hu . Vielleicht gibt es ihn wirklich, auch wenn er in die christliche Weltordnung nicht zu passen scheint, und ich bin ihm hier begegnet. Wenn er es war, so kam ich noch recht gut davon. Wenn es aber nur ein schnöder spaßiger Hund war, so will ich hoffen, daß ihm am Ende keiner der Jäger zum Verhängnis wurde, die jetzt nach der Ernte zahlreich durch die Gegend streiften und auf alles schossen, was sich im Gebüsch bewegte. Teilweise kam man sich wie auf dem Schie ß stand vor. Offenbar hatte hier jedermann ein Gewehr und zwei Jagdhunde dazu, um Kleintiere aus dem Versteck zu scheuchen und ihnen in den Rücken zu ba l lern. Meist fanden die Jäger nichts, weil es kaum mehr was zu schießen gab, und die wenigen verbleibenden Tiere in ihrem Versteck nicht so einfach aufzust ö bern waren. Aber die Jäger waren nicht wählerisch, wenn ihnen etwas vor die Flinte kam, sei es auch nur eine Blindschleiche, drückten sie ab. Wenn nicht, ballerten sie einfach so durch die Gegend, weil es gerade lustig war. Einmal marschierte ich an einem alleinstehenden Haus vorbei. Aus dessen Innern hörte ich ganze Serien von Schrottgewehr schüssen. Es war ein kleines, billiges Ferti g haus aus minderwertigem Material, dessen Wände kaum einem Schuß standha l ten würden. Es erzitterte jedesmal, als ob es sich fürchten würde. Ich konnte mir nicht vorstellen, gegen was man da drinnen schießen mochte. In den Boden? Dutzende Male? Ein anderes Mal passierte ich in der Dämmerung ein enges Talgrund, das nicht viel tiefer war als meine Körpergröße, während jemand d i rekt über meinem Kopf mehrere Schüsse abgab. All mein Instinkt riet mir, De c kung zu suchen, den Feind zu identifizieren und zu eliminieren, auch wenn ich wußte, daß das hier nur ein blödes südländisches Gehabe war, und ich nicht das Ziel. Ich mußte da einfach durch, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubte. Das Widerlichste jedoch war mir das systematische Töten auch der kleinsten Tiere und Vögel. Einmal traf ich so einen Jäger mit einem ganzen Schwarm grauer Singvögel am Gürtel hängend. Er trug sie stolz wie eine Auszeichnung. Am liebsten hätte ich ihn verbeult und ihm die eigene Schrotflinte in den Hi n tern geleert. Der Trikster hätte es auf seine hinterfotzige Art gewiß getan, ich aber hatte es zu lassen. Ich war ja als reuiger Pilger unterwegs und wußte, der Herr würde es nur ungern sehen. Die Tiere hat er dem Menschen untertan, doch für den Mitmenschen forderte er Rechenschaft. Ich aber sage euch: Jeder, der seinem Bruder auch nur zürnt, soll dem Gericht verfallen sein. [66] Da lag ich in seinen Erwartungen ohnehin schon zu kurz. Wie immer. Um mich ein wenig a b zukühlen, schimpfte ich mich statt dessen bei einem in
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