Bis ans Ende der Welt (German Edition)
grundsätzlich nicht bereit, Geld zu zahlen, um das Haus des Herrn zu betreten. So wurde ich etwas aufsässig der adretten Dame am Eingang gegenüber, die mich ohne Eintritt nicht hinein lassen wollte. Ich e r klärte ihr ohne Umschweife, man müßte mit ihr und ihrem Handel genauso ve r fahren, wie es Jesus mit den Geldwechslern und Taubenhändlern im Tempel tat. Mein Haus soll ein Haus des Gebetes sein. Ihr aber macht daraus eine Räube r höhle. [64] Ihr Gesicht war leer, und ich sah ein, daß hier jeder Eifer sinnlos wäre. So blieb ich eine Weile vor der Kirche sitzen und tat so, als wäre ich drinnen, und das war auch besser, als sich über ein Federvieh im gotischen Käfig zu ve r wundern. Ich überlegte, daß der Herr damals im Tempel von Jerusalem wohl ein ziemliches Glück hatte, wegen seiner mutigen Tat nicht mißhandelt worden zu sein, sei es durch die Händler oder die Büttel. Verstanden hat ihn vermutlich niemand, ich glaube, auch nicht die Jünger. Ich hätte ein solches Glück nicht. Die Büttel würden mich fassen, der Richter hängen und die teutonischen RTL-Jünger mit ihrem Lieblingsspruch von „anderen Ländern, anderen Sitten“ nur bedenklich mit dem Kopf nicken. Und es würden keine Hühner meinetwegen lebendig werden, damit man mich vom Galgen nähme. Die konnten mich alle gerne haben, sie verdienten ihre Hühner voll und ganz. Und ich ließ sie stehen und ging aus der Stadt hinaus nach Redecilla . Dort übernachtete ich.
Aber nicht gut. Der Wunsch nach einem guten Schlaf ist verständlich, wird j e doch dem Pilger nicht leicht erfüllt. Am Rande der Erschöpfung, in überhitzten Massenunterkünften, wo ständig jemand unterwegs ist, schnarcht, mit Plastikt ü ten raschelt oder sonstwas treibt, schläft sich schlecht. Aber das sind nur die normalen, die guten Umstände. Es gibt auch noch wirkliche Störungen, die e i nem objektiv den Schlaf rauben. So wie das Fest damals im französischen N a varrenx oder eben jetzt in Redecilla . Hier waren bei meiner Ankunft alle B e wohner verschwunden, wie sich später herausstellte, um an einem Volksfest im Nachbardorf teilzunehmen. Das wäre ja noch legitim. Doch sie kamen nach Mi t ternacht zurück und feierten weiter, bis alle Sterne vom Himmel fielen, und es Licht wurde. Es war eine erbarmungslose Massensauferei mit allen Pauken und Registern. Und für uns, die etwa zwanzig Jakobspilger, eine ernsthafte Prüfung. Wir schliefen trotz des infernalischen Heulens aus dem Lautsprecher und des besoffenen Randalierens der spanischen Hallodri so gut es eben ging, und räu m ten am Morgen das Feld, ohne im Dorf die Fenster zerschlagen und allen Hü h nern den Hals umgedreht zu haben, was uns, würde es auf der Welt wirklich g e recht zugehen, eigentlich zugestanden wäre. Wir hätten es gar straflos tun kö n nen, weil die Einwohner allesamt hilflos in Koma lagen. Statt dessen trösteten wir uns damit, die Nacht überlebt zu haben und das Dorf unversehrt wieder ve r lassen zu dürfen. So blieben wir an diesem Tag ohne Sünde. Vielleicht.
Villafranca Montes de Oca , km 2305
Einen winzig kleinen Vorteil brachte die wilde Fiesta immerhin. Keiner kam, weder am Abend noch am Morgen, um abzukassieren. Das passiert auf dem Camino wirklich selten, und es blieb mir daher gut im Gedächtnis hängen. Das Frühstück, zwei Tassen Tee und drei Kekse, teilte ich mit einem jungen Düsse l dorfer, der noch schlechter als ich dran war. Vergeßt nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen; denn an solchen Opfern hat Gott Gefallen. [65] Das fand ich meinerseits auch und startete gutgelaunt in den Tag. Natürlich wieder als der A l lerletzte. Ich mußte mich allerdings nicht beeilen, hatte alle Zeit der Welt und den Camino für mich allein. Oder das, was man hier darunter versteht. In Kast i lien ist der Jakobsweg nicht nur ein kulturelles Erbe, sonder auch eine praktische Verkehrsader. Hier führen alle Wege nicht nach Rom, sondern nach Santiago. Warum also nicht gleich eine Schnellstraße drauf zu bauen? Und für den armen Pilger einen kahlen Streifen daneben. Auf dem darf er unter der prallen Sonne fröhlich laufen, dabei den Staub und die Autoabgase schlucken. Schatten gibt es keinen. Napoleon lies für seine Marschsoldaten Bäume wegen des Schattens pflanzen, doch das scheint hier keine weitverbreitete Idee zu sein. Man läßt sich die Sonne aufs Fell brennen oder verkriecht sich ins Haus. Aber nicht unter i r gendwelche Bäume. Zu der enormen UV-Strahlung kommt noch
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