Bis ans Ende der Welt (German Edition)
der Staub und der Lärm der vorbeirasenden Schwerlastern. Um die Kontemplation ist es somit nicht besonders gut bestellt. Hauptsache, man marschiert. Die Form steht soz u sagen vor dem Inhalt. Andererseits haben Wandergenossen, die tagsüber in einer Bar hängengeblieben und arg in Rückstand geraten sind, nun die Möglichkeit, mit dem Bus oder Taxi die verlorene Strecke aufzuholen. Ein Taxi zu viert kommt spottbillig, und je näher man sich dem Ziel nähert, desto häufiger sieht man sie. Die Fahrer sind kundig genug, die Stempelstellen anzufahren, und di s kret genug, um nicht direkt vor der Herberge zu ha l ten. Das könnte den Spott der Mitpilger wecken.
Immerhin führt der Camino hier noch nicht durchgehend entlang der Straße, weicht noch hie und da ab in die Felder aus und läßt die Illusion der freien Landschaft zu. Der Verkehr war an diesem Morgen eher dürftig, und ich tröstete mich mit dem weichen Licht und den langen Schatten, welche die zerklüftete Landschaft plastisch tünchten. Die Felder waren nun alle schon abgeerntet, kahlgelb, fast silbern, heute ausnahmsweise mit einem tiefblauen Himmel da r über. Mancher Ausblick geriet nur zweifarbig – blau und silbern – und sonst nichts. Das mochte ich, glaubte sogar einen Silberrand am Himmel ausgemacht zu haben. Keinen Goldrand wie in Aubrac, aber immerhin einen Silberrand. Sp ä ter einmal sah ich auch Bilder, die im Frühling gemacht wurden. Auch nur zweifarbig, doch anstelle des Silbers stand ein giftiges Grün. Auch nicht schlecht.
In diese Betrachtung vertieft, achtete ich kaum auf den Weg, als ein großer struppiger Hund mir den Weitergang versperrte. In Frankreich dösten die Hunde mehrheitlich faul in der Sonne vor der Haustreppe. Hier in Spanien liefen sie nun überall geschäftig neugierig herum. Im Gegenteil zu den Bauern, die man nur im Schatten sitzen oder in Grüppchen plaudern sah. Sie störten sich nicht an den streunenden Kötern, ignorierten sie einfach. Auch sei gesagt, daß ein span i scher Bauer nie ohne Stock aus dem Haus geht und keinerlei Skrupel hat, ihn auch zu benützen. Das wissen die Hunde nur zu gut und gehen den Bauern aus dem Weg. Vor den mit Skrupeln beladenen Pilgern haben sie nicht viel Respekt. Und dieser da hatte offenbar die Absicht, mich einzuschüchtern. Es war ein gr o ßes, kräftiges Tier, reichte mir gut bis zur Hüfte und wog bestimmt die Hälfte meines Körpergewichts. Er nahm eine strategisch günstige Position in der Wegmitte ein, so daß man ihn nicht einfach achtlos passieren konnte. Dort stand er nun völlig unbeweglich und wartete darauf, was ich so tun würde. Da wartete er aber umsonst. Nach so vielen Kilometern und genauso vielen Hunden, die mir unterwegs begegneten, wurde ich geradezu zum Hundebändiger. Ein Schnalzen mit der Zunge machte die Kläffer hinter dem Gartenzaun stumm, ein Wink mit dem Pilgerstab ließ Wadenbeißer an der gezeigten Stelle wie verzaubert ersta r ren. Man konnte sie dort zappeln lassen oder auch aus dem Bann entlassen. In der letzten Zeit gingen mir Hunde gleich aus dem Weg. Die ganz faulen darunter drehten sich einfach um und täuschten vor, mich nicht zu sehen. Ein Hund der sich bei Annäherung diskret umdreht und in die Wand starrt, ist irgendwie ein komischer Anblick. Dieses zottige Untier war allerdings weder diskret noch komisch. Aber ich war nicht in der Geberlaune. Das Dasein als Pilger war auch ohne streunende Hunde kein Honigschlecken. Er hatte zu weichen, und das tat er. Nachdem ich nähergekommen war, und er merkte, daß seine Taktik nichts bringt, drehte er sich einfach um, tat harmlos und trottete in einigen Metern En t fernung vor mir her, als ob er von nun an zu mir gehören möchte. Und er hielt es über etliche Kilometer täuschend echt aus, so daß mich unterwegs ordnungsli e bende Preußen mahnten, „meinen Monsterköter“ doch an die Leine zu nehmen und andere nicht zu erschrecken. Recht hatten sie. Standen sie herum und kon n ten uns kommen sehen, lief er gezielt auf sie zu, baute sich in anderthalb Metern Entfernung vor ihnen auf und stierte sie ohne auch nur ein Haar zu rühren an. Das konnte er eine ganze Weile durchhalten. Zur Einschüchterung reichte es meist völlig aus. Er starrte sie einfach nieder. Dabei schien er genau zu wissen, was er tat. Er konnte jedoch noch andere Register ziehen, um auf seine Kosten zu kommen. Wenn wir etwa andere Pilger einholten, pirschte er sich an sie von hinten heran. Um nicht vorzeitig entdeckt zu werden,
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