Bis ans Ende der Welt (German Edition)
Köln lebenden Portugi e sen darüber aus. Es war ein robuster, bäuerlicher Typ, mit dem ich ab und zu ein Glas Wein trank und ein Schwätzchen hielt. Der Alte aber wies mich ab. Sein Arzt habe ihm gerade solche Gespräche verboten, als er ihn auf die Pilgerreise schickte. Also beschloß ich wieder mal, auch ohne Rücksprache mit meinem Hausarzt, keinerlei Grundsatzdebatten mehr mit den Piefkes zu führen, mögen sie auch aus Portugal stammen.
Ein grimmiges, humorloses Volk waren sie. Die Deutschen wie die Südländer. Vielleicht lag es an der enormen Strahlung der Sonne, die auf die kahle Lan d schaft niederbrannte, als ob es gar keine schützende Atmosphäre, kein Erdm a gnetfeld gäbe. Wir waren hier in den Bergen des Oka mehr als tausend Meter über dem Meer, auch wenn die Felder und die Hitze vielleicht eine niedrigere Höhe vortäuschten. Früher einmal war all das hier dicht bewaldet. Die Gegend sei unter den Pilgern gefürchtet gewesen, berichtete der Führer, wegen des schwierigen, unübersichtlichen Geländes, der wilden Tiere und der gewerbl i chen Abzocke. Ein kastilisches Sprichwort bezeichnet die Montes de Oca gar als Räuberhöhle: „Wenn du rauben willst, geh in die Oca-Berge!“ Nur die ganz h o hen Lagen sind noch bewaldet, das Tal ist fast kahl. In den endlosen Kornfe l dern wuchern in Abständen große stachelige Gebüschinseln. Die kahlen Hügel zeigen tiefe Einschnitte, wo einst Bäche flossen. Würde der Regen nur eine ei n zige Saison ausfallen, der Wind würde die fruchtbare Erde wegtragen, und es wäre aus mit dem kastilischen Korn. Dank der globalen Erwärmung soll das o h nehin die Zukunft Spaniens sein. Wie in Nordafrika, wo noch zu Zeiten des Römischen Reiches die Kornkammer Europas lag. Heute ist dort alles wüst. Kein Wunder, wenn alle etwas mürrisch waren. Man stampfte durch die fli m mernde Luft wie durch Wasser, schwitzte und litt. Sogar der japanische Samurai in seiner grenzenlosen Zurückhaltung. Es herrschte eine bissige Stimmung. In einem Dorf sah ich oben auf der Mauer von einem Ast eine saftige Birne hä n gen. Ich war wie verzaubert. So ein Wunder! Ein Baum, der tatsächlich reife Früchte bringt, wo gab es hier denn so etwas? Und ich hatte nicht einmal mehr ein Stück Brot. Mit meinem überlangen Pilgerstab war es gar kein Problem, die große, saftige Birne runterzuholen. Unüberlegt, wie sich gleich herausstellen sollte. Die Birne landete noch nicht auf der Erde, schon ertönte ein schlimmes Gezeter aus einem der Häuser einige Hundert Meter weiter. Der mutmaßliche Besitzer des Gartens meldete sich wutentbrannt zum Wort. Wer weiß, wie viele von seinen Birnen schon in den Bäuchen durstiger Pilger verschwunden sind. Doch was nun? Das gute Stück war schon herunter und noch dazu etwas ang e schlagen. Ich nahm eine Münze, zeigte sie dem Mann, legte sie zwischen die Steinziegel und winkte wie zum Dank zurück. Vielleicht hätte ich die kaputte Birne dort liegen lassen sollen. Der Mann fühlte sich nun gar richtig herausg e fordert, schimpfte und tobte, daß ich fürchtete, er könnte aus dem Fenster, das immerhin im ersten Stock lag, hinausfallen. Ich sah zu, daß ich weiterkomme. Offenbar hielt nur die enorme Aufregung den Mann von einer gezielten Verge l tung fern. Sonst hätte er mich leicht einholen oder gar seine Flinte herausholen können, wie es mir bei einer frühren Reise durch Spanien schon mal passierte, als ich versuchte, von Erntearbeiten Kirschen zu kaufen. Aber der Erfahrung hätte es gar nicht bedurft. Leuten, die ohne Not auf kleine Vögel schießen, traute ich einfach alles zu.
Burgos, km 2351
Das aber sollte nicht meine größte Sorge sein. Der neue Tag kam, und ich war wieder nicht in Form. Wie seit dem Gewaltmarsch nach Saint Jean Pied du Port fast ständig. Da hatte ich mich irgendwie zu sehr vorausgabt und konnte es sei t dem nicht mehr wettmachen. Auch die letzte Nacht reichte nicht, um mich zu erholen. Die steinigen Wege gaben den Rest. Ich holte mir wieder ein paar Bl a sen, probierte, um noch größere Schäden zu vermeiden, in den Sandalen zu g e hen, davon wurden wieder die Kniegelenke wacklig. Die vermaledeiten Ber g schuhe hätten der Inquisition zur Zierde gereicht - als Spende an die Ketzer. In Wirklichkeit stammten sie von einer deutschen Traditionsfirma, bei der ich e i gentlich schon immer meine Stiefel kaufte und bisher zufrieden war. Aber die gute alte deutsche Fertigungstradition scheint heute keine Rolle mehr zu spielen. Man
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