Bis ans Ende der Welt (German Edition)
genauso im Gehen tun.
Das freilich hielt mich nicht davon ab, bei der erstbesten Gelegenheit wider den härteren Weg zu wählen. Hinter Sahagún folgt der Hauptweg der Nationalstraße und der Autobahn, doch parallel dazu führt eine alte Römerstraße, die vom Fü h rer als ruhig und einsam gelobt wurde. Ruhe und Einsamkeit – mehr braucht man mir nicht erzählen, um mich auf Abwege zu bringen. Auch wimmelte es hier plötzlich geradezu von Pilgern. Als ob sie vom Himmel gefallen wären. Sie wanderten in kleinen Gruppen laut schwatzend. Ein Engländer und eine Amer i kanerin, die rüstig vor mir schritten, nervten mich eine ganze Weile mit leerem Geschwätz über Immobilienpreise und hochbezahlte Jobs in Indien und Austr a lien. Konzernnomaden, für die es im Zeitalter der Globalisierung keine Grenzen, keine Heimat gibt. Es war mir unangenehm, in dieser Lage einem Geldg e schwätz zuhören zu müssen, aber ich hätte laufen müssen, um sie zu überholen. Ein aufgelöster Schürsenkel der Amerikanerin bot mir schließlich die Möglic h keit, sie dezent zu überholen, dann machte ich mich schnell davon. Es war ger a de in einem Dorf, die Bewohner standen faul herum, quatschten und hielten Pi l gerschau ab, während sich ein Dutzend räudiger Köter um sie herum trieb. Es waren auch ein paar kräftige Tiere mit gutem Gebiß dabei. Als ich auftauchte, machten sich einige wie gewohnt gleich davon oder stellten sich mit der Schnauze an die Wand wie die Juden an die Klagemauer, doch die übrige Meute wollte offenbar angreifen. Ich hielt sie mit dem Pilgerstab im Schach, ließ sie zum Unbehagen der Einheimischen erstarrt zurück und hatte mich davon g e macht, bevor ich dazu Rede und Antwort hätte stehen müssen. Ich war noch nicht um die Ecke verschwunden, da bog das angelsächsische Paar auf den Platz ein, weckte damit die verzauberte Hundemeute auf, die sie zum Dank umzinge l te und angriff. Während ich mich rasch entfernte, hörte ich Schmerzenschreie und wüste Flüche, danach das Jaulen geschlagener Kreaturen. Ich konnte mich erinnern, daß der Engländer einen eindrucksvollen Wurzelstock mit sich führte, und glaubte, in dem wüsten Durcheinander seine Handschrift zu erkennen. J e denfalls gab es mir die Möglichkeit, in Frieden weiterzuziehen.
Angesichts der darauf gestreuten Kieselsteine war es aber ein teuer erkaufter Frieden. Auch war er bald zu friedlich und zu fad, und ich kam zum Schluß, daß eine ansonsten echt romantische Römerstraße nur schnöde Plackerei ist, wenn man gezwungen ist, darauf zu wandern. Außer hellbrauner Erde und staubigem Gestrüpp gab es gar nichts zu sehen. Die Erde eben und braun, der Himmel flach und blau, der Rest dürr und verstaubt. Alle einigermaßen hellen Pilger mit Hauptschulabschluß nahmen den neugebauten, mit jungen Platanen bepflanzten Camino neben der Autostraße, wo man teilweise im Schatten wandern konnte, während Samurais wie ich und Junzo diese gottverlassene Steppe wählten, um sich daran zu messen. Junzo überraschte mich nicht, der kannte keine Schme r zen, aber über mich selbst mußte ich mich sehr wundern. War ich denn nicht fußlahm und fiebrig, daß ich kaum noch den Schatten eines gepflegten Stad t parks genießen konnte? Und doch mußte ich diesen desolaten Weg nehmen. N a türlich wegen der Autobahn und der vielen Pilger, sagte ich mir zum Trost, aber es war nicht wahr. Ich hätte ihn auch so genommen, wie ich im Leben immer den schwierigen Weg nahm. Und nun konnte ich nicht umkehren, sei es nur aus dem Grunde, weil der Fluß nicht rückwärts fließt, und der Pilger nicht zurück läuft. Hart wie der Kiesel. Der wirkliche Trost jeglicher Trübsal aber liegt darin, das alles - außer dem Herrn - sein Ende hat. Das Gute wie das Böse. Man braucht nur die Geduld und die Demut, es zu ertragen. Tröstlich ist auch der G e danke, daß der Herr einem nicht mehr aufbürgt, als jeder selbst tragen kann. Und sollte man es auch nicht ertragen können, und das Herz würde einem wie töne n der Krug bersten, so liegt ein Trost darin, daß das Leiden damit sein Ende hat. Wie das von Manfred Friedrich Kress am 9. Juni 1998. Ein staubiges Marmo r kreuz am Wegrand markiert hier das Ziel seiner Pilgerschaft. Es steht nur der Sterbe- und kein Geburtstag drauf. So wurde es vermutlich von den ahnungsl o sen Einheimischen aufgestellt. Was müssen sie denn von uns, den endlos Vo r beiziehenden, den Besessenen, wohl denken?
Mein Herz schlug noch, so kam ich irgendwann, ob
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